In der belarussischen Hauptstadt Minsk sind am Sonntag erneut zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Staatschef Alexander Lukaschenko zu protestieren. Sicherheitskräfte riegelten das Stadtzentrum mit Metallzäunen ab, zwölf U-Bahnstationen wurden gesperrt. An diesem Sonntag läuft eine Frist ab, die Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja für einen Rücktritt Lukaschenkos gesetzt hatte. Sie drohte mit einem Generalstreik in Belarus, sollte der autoritär regierende Präsident das Ultimatum verstreichen lassen.
Auf Videoaufnahmen von Augenzeugen war ein Konvoi aus Bussen mit Sicherheitskräften zu sehen, die sich vor Demonstrationsbeginn in Stellung brachten. In den vergangenen Tagen hatten die Behörden auch das mobile Internet gedrosselt, um die Kommunikation zwischen den Demonstranten zu unterbinden.
Viele Menschen folgten dennoch dem Aufruf von Regierungskritikern im Messengerdienst Telegram, am frühen Nachmittag gegen Lukaschenko auf die Straße zu gehen. "Es ist an der Zeit, dass den Belarussen die Rechtsstaatlichkeit, Entwicklung, freie Wahlen und die ganze Palette an Bürgerrechten zurückgegeben wird", hieß es in dem Aufruf der von den belarussischen Behörden als "extremistisch" eingestuften Gruppe. "Der letzte Tag des Ultimatums der Bevölkerung ist gekommen."
Tichanowskaja, die nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl im August nach Litauen geflohen war, hatte am Freitag ihre Forderung nach einer Wiederholung des Urnengangs bekräftigt. Bei einem Treffen mit dem dänischen Außenminister Jeppe Kofod in Kopenhagen räumte die 38-Jährige zugleich ein, dass unklar sei, wie viele Belarussen ihrem Aufruf zum Generalstreik am Montag folgen würden.
"Ich weiß, dass viele Menschen Angst haben, ihren Job zu verlieren", sagte Tichanowskaja. Der Streik werde nicht von der Opposition organisiert. "Die Menschen entscheiden selbst, ob sie bereit sind oder nicht."
Seit der von massiven Betrugsvorwürfen überschatteten Präsidentschaftswahl vom 9. August gibt es in Belarus Massenproteste, gegen welche die Behörden gewaltsam vorgehen. Nach offiziellen Angaben hatte Lukaschenko die Wahl mit mehr als 80 Prozent der Stimmen gewonnen, auf Tichanowskaja entfielen demnach lediglich rund zehn Prozent.
Die EU bezeichnete die Abstimmung als weder frei noch fair und verhängte vor wenigen Wochen neue Sanktionen gegen politisch Verantwortliche in dem Land. Als weiteres Zeichen der Solidarität mit der Opposition in Belarus zeichnete das Europaparlament am vergangenen Donnerstag die Opposition mit dem Sacharow-Preis für Menschenrechte aus.
isd/ju
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