Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des stark
wachsenden Tourismus und daraus resultierende Spannungen auf der ostfriesischen
Insel hielt man eine offene Diskussion über die zukünftige Entwicklungsrichtung
für notwendig. Das daraus entstandene Lebensraumkonzept wurde am vergangenen
Montag verabschiedet und vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr
Niedersachsen als „Pilotprojekt mit Vorbildfunktion“ gewürdigt. Basierend auf
über 2.000 Bürgermeinungen setzt das Konzept einen ganzheitlichen Rahmen und
damit einen Meilenstein für die zukünftige Entwicklung der Insel, wobei der
Fokus auf den Interessen der Insulaner liegt – ganz nach der Leitlinie „Unsere
Lebensqualität ist uns wichtig“.
Entsprechend breit ist das Themenspektrum, das von der Reduzierung des Verkehrs über die Stärkung der Inselgemeinschaft bis hin zu Naturschutz und Nachhaltigkeit reicht. Im Zentrum der Diskussionen stand dabei immer wieder der Einfluss des Tourismus auf alle Lebensbereiche der Insulaner und Möglichkeiten zur Regulierung und Steuerung von Besucherströmen.
Mit dem nun verabschiedeten Lebensraumkonzept setzt sich die Insel klare Ziele und Leitlinien, die in den nächsten Jahren umgesetzt werden sollen. Bemerkenswert sind das breite Interesse und die rege Beteiligung der Insulaner. Im Laufe des einjährigen Prozesses konnten unter Begleitung des Beratungsbüros Kohl & Partner über 2.000 Meinungen in dem Konzept berücksichtigt werden. Dazu wurden Gespräche, Workshops und Diskussionsrunden mit verschiedenen Anspruchsgruppen organisiert sowie die breit angelegte Online-Umfrage „LebensQualiMeter“ zur subjektiven Bewertung der Lebensqualität auf der Insel durchgeführt. An letzterer nahmen 16% der Inselbewohner teil – insgesamt ein bisher einmaliger Prozess auf der Insel und eine bemerkenswerte Abbildung des Bürgerwillens, wie auch Bürgermeister Ulrichs betont.
Einige Themen sind zwar wenig überraschend – der Handlungsbedarf in den Bereichen Wohnraum und Verkehr zum Beispiel sind schon lange bekannt und werden bereits angegangen – doch im Prozess wurden die Forderungen der Bürger nochmals sehr deutlich und das Konzept gibt eine klare Richtung vor: Ein Mehr an sozialem Miteinander und Raum für die Insulaner, eine bessere Abwägung zwischen Interessen von Gästen und Einheimischen, kein ungebremstes Wachstum im Tourismus, sondern klare Grenzen und mehr Mut zu visionären und zukunftsfähigen Entscheidungen. Auch durch die Corona-Pandemie hat sich an diesen Zielen und Ausrichtungen nichts verändert, vielmehr zeigte eine Umfrage zur Evaluation der Ergebnisse vor dem Hintergrund der Entwicklungen im Kontext der Pandemie ein klares Bekenntnis zu den bereits zuvor erarbeiteten Leitlinien.
Das Konzept beschränkt sich jedoch nicht auf die strategische Ebene, sondern operationalisiert die gesetzten Ziele durch detaillierte Projekte, von welchen sechs nun mit Priorität angegangen werden sollen: ein Verkehrskonzept, eine Strategie für Wohnraum, die Reduzierung von Plastik, die Schaffung einer Begegnungsstätte für Norderneyer, Teilhabe an der Inselgemeinschaft sowie Besucherlenkung. Damit bilden diese Schlüsselprojekte die Bandbreite der diskutierten Themen sehr gut ab und stellen die größten Handlungsbedarfe in den Vordergrund. Durch festgelegte Verantwortungen, einen Umsetzungsfahrplan sowie die Schaffung einer Koordinationsstelle bis Jahresende soll die Umsetzung sichergestellt werden.
Alexander Seiz von Kohl & Partner macht jedoch auch deutlich, dass nicht nur die Gremien aus Politik und Verwaltung für die Realisierung des Konzepts Verantwortung tragen – vielmehr sind Insulaner und Gäste ebenso in der Verantwortung, ihren Teil zum Gelingen beizutragen und ihr Handeln entsprechend zu hinterfragen und anzupassen. Anregungen und Möglichkeiten dazu finden sich ebenfalls im Lebensraumkonzept.
Das Konzept sowie weitere Ergebnisse aus dem Prozess können auf der Projektwebsite www.norderney.de/lebensraumkonzept eingesehen werden.