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Premiere von „Gott“

Im Wolfgang-Borchert-Theater lief die Premiere von Ferdinand von Schirachs Werk "Gott". Die Streitfrage: Sollen Ärzte Sterbehilfe leisten dürfen?

Münster – Die Besucher des Wolfgang-Borchert-Theaters (WBT) lassen sich auf roten Samtbezügen nieder. Das Bühnenbild wirkt im Kontrast nüchtern und kühl. Stühle stehen im Halbkreis, nichts lenkt ab von dem Tabuthema, das dort präsentiert wird: der ärztlich assistierte Suizid.

Im Februar 2020 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Ärzte befugt sind, auf Verlangen ihrer Patienten ein tödliches Medikament bereitzustellen. In den Benelux-Staaten und der Schweiz ist dies erlaubt, in Deutschland hingegen stand die ärztliche Beihilfe zum Suizid bislang unter Strafe.

Unabhängig von juristischen Entscheidungen legt von Schirachs Theaterstück „Gott“ die ethischen Probleme dieses Sachverhaltes dar. Nach dem Gerichtsdrama "Terror" ist "Gott" der zweite Teil einer Trilogie des deutschen Schriftstellers und Rechtsanwaltes.

Der Ethikrat tagt und lässt Betroffene und Sachkundige zu Wort kommen. Am Ende entscheidet das Publikum: Soll es Ärzten erlaubt sein, ihren sterbewilligen Patienten das Medikament Natrium-Pentobarbital zur Verfügung zu stellen?

Auf einer Leinwand erscheint zu melancholischer Musik ein alter Mann auf einem Friedhof im Wald. Kurz darauf betritt er die Bühne. Es handelt sich um Richard Gärtner, 78 Jahre alt und nach dem Tod seiner Frau nicht mehr lebenswillig. Er ist nicht depressiv, es liegt keine psychische Störung vor. Und dennoch ist er sich sicher: Ohne seine Frau will er nicht mehr leben.

 

Die Vorsitzende des Ethikrates eröffnet die Runde. Sie stellt die Anwesenden vor, die sich auf den kahlen Stühlen niederlassen, darunter ein Jurist, ein Bischof und der Präsident der Bundesärztekammer. Neben diesen Sachverständigen nehmen Herrn Gärtners Anwältin, sein Arzt sowie ein Mitglied des Ethikrates an der Debatte teil.  

"Wem, wenn nicht uns, gehört unser Sterben?", fragt die Anwältin. Herr Gärtner formuliert es radikaler: "Jeder, der mir das Sterben verbieten will, liegt falsch.“ Sterben zu wollen sei "nicht amoralisch, nicht egoistisch, nicht krank.“

Sein Arzt fügt hinzu: Suizidversuche ohne ärztliche Hilfe gehen häufig mit Schmerzen einher. Er beschreibt detailliert die Folgen fehlgeschlagener Versuche, legt den Finger in die Wunde einer Gesellschaft, in der sich jährlich elftausend Menschen das Leben nehmen und zehnmal so viele es versuchen. In dem Saal ist nichts davon zu spüren, dass das Sterben – und vor allem das selbstherbeigeführte Sterben – noch immer ein Tabuthema ist.

Doch wo ziehen wir die Grenze? Was, wenn Kinder den Wunsch zu sterben äußern? Sollten nicht Palliativmedizin und Hospize die Angst vor dem Tod nehmen? Was, wenn als Folge des Urteils Menschen diesen Weg wählen, weil sie sich als Belastung für ihre Liebsten sehen? 

Die Diskussion ist lebhaft. Die Teilnehmer fordern einander heraus und heben bisweilen die Stimme, aber sie lassen einander ausreden und hören zu. Diese Gesprächskultur ist für die Meinungsbildung essentiell und darf auch bei derart schwierigen Themen und Grundsatzfragen nicht versiegen.

Das Publikum schmunzelt an einigen Stellen, schüttelt an anderen den Kopf, hört jedoch immer aufmerksam zu. Manchmal braucht es kein aufregendes Bühnenbild, um die Zuschauer zu packen. Manchmal reichen starke Argumente. Und ausgezeichnete schauspielerische Leistungen. Besonders überzeugte Marion Mainka in der Rolle von Herrn Gärtners Anwältin. Sie verlieh ihrer Figur Eleganz, Souveränität und eine Prise trockenen Humors.

Am Ende entscheiden sie: die Menschen, die an diesem verregneten Donnerstagabend den Weg ins Wolfgang-Borchert-Theater gefunden haben: Sollen Ärzte Beihilfe zum Suizid leisten dürfen? Enthaltungen sind nicht erwünscht. Die ersten Hände heben sich zögerlich, rasch folgen die nächsten - 28 Stimmen dafür. Dagegen votieren sechs.

Auch wenn die Abstimmung des Ethikrates eindeutig ausfällt – einfach zu beantworten ist die Frage nicht. Und mit dem Theaterstück "Gott" hört die Debatte nicht auf. Sie fängt gerade erst an.


Inszenierung | Meinhard Zanger
Bühne & Kostüme 
| Darko Petrovic
Mit | Florian Bender | Rosana Cleve | Markus Hennes | Johannes Langer | Ivana Langmajer | Jürgen Lorenzen | Marion Mainka | Andreas Weißert


Fotos: Klaus Lefebvre