Münster (pbm). Wolf Biermann nimmt kein Blatt vor den Mund. Das hat der bekannte Dichter und Liedermacher am 11. September im Rahmen der „DomGedanken“ einmal mehr wortgewaltig unter Beweis gestellt. Ein „reaktionärer Idiot“ sei, wer die NS-Zeit als Fliegenschiss der deutschen Geschichte bezeichne. Knapp 90 Minuten sprach Biermann mit dem Journalisten Michael Rutz im vollbesetzten münsterschen St.-Paulus-Dom über sein bewegtes Leben und sang politische Lieder. Mit einem klaren Bekenntnis zur Demokratie endete die diesjährige Vortragsreihe der „DomGedanken“, die unter dem Motto „Europa“ stand.
„Es freut mich sehr, dort als Wolf zu jaulen, wo der Löwe von Münster gebrüllt hat“, sagte der 82-Jährige verschmitzt lächelnd zu Beginn des Abends und erinnerte damit an Kardinal Clemens August Graf von Galen, der sich im Nationalsozialismus gegen Hitler gestellt hatte. Der rote Faden des Abends war gelegt.
1936 in Hamburg in ein kommunistisches Elternhaus hinein geboren, siedelte Biermann mit 16 Jahren in die DDR über. „Ich hatte rote Brause im Kopf“, erklärte der Sänger seine Entscheidung, in eine Diktatur zu ziehen. „Wenn man geschützt ist durch Unwissenheit, kann man sehr glücklich sein.“ Doch je länger er im System gelebt habe, desto kritischer habe er dem Regime gegenüber gestanden. Das Engagement am Berliner Brecht-Theater sei für ihn schließlich die Initialzündung gewesen. „Ich wurde Brechtianer. Das brachte mich dazu, Gedichte und Lieder zu schreiben.“ Seine system-kritischen Texte machten ihn zum „Feind der Bonzen. Die haben mich vom Kommunismus abgebracht“. Die Konsequenz: 1976 durfte er nach einer Konzerttour nicht wieder in die DDR einreisen.
Eine abstruse Situation. Während Tausende lieber heute als morgen die DDR verlassen hätten, aber nicht durften, wollte Biermann wieder hinein. „Nicht, weil ich ein Idiot und scharf auf Schläge war. Sondern weil ich etwas bewirken wollte. Ich wurde dort gebraucht“, versuchte er seine Beweggründe zu erklären. Er habe sich schließlich auf die „Parteibonzen der DDR“ spezialisiert. „Mit dem Freiheitsdrang ist es wie mit einer Blume, die im Keller wächst: Sie muss kämpfen, um zu überleben. Wenn man in Freiheit lebt, achtet man sie gering und weiß sie nicht zu schätzen.“
„Ich war radikaler, rabiater als andere, bin ein Freund klarer Worte“, betonte Biermann. Er habe sich gegen die Ungerechtigkeiten wehren müssen, um nicht selbst zu Grunde zu gehen. Biermann verstand es, Tiefgründiges in leichtem Gewand daherkommen zu lassen. Mit seiner Energie, der durchdringenden Stimme und seiner Wortgewalt, erfüllte er das Kirchenschiff. Die Zuschauerinnen und Zuschauer hingen gebannt an seinen Lippen.
„Die Demokratie ist in Gefahr“, warnte Biermann eindringlich. „Wir dürfen uns nicht in die nächste Diktatur fallen lassen.“ Wer wie Alexander Gauland von der AfD meine, die Nazizeit mit einem Vogelschiss vergleichen zu können, der mit „ein wenig Wasser abgewischt“ werden könne, der „ist ein reaktionärer Idiot“. Klare Worte gegen rechte Strömungen. Aber auch Verständnis für die Ostdeutschen. Die Mehrheit der Menschen im Osten würden nicht radikal denken und die alten Zeiten zurück haben wollen. „Aber man darf auch nicht vergessen, dass die Menschen in der Diktatur deformiert worden sind. Sie haben es sehr schwer, Demokratie und Freiheit zu erlernen.“ Aber Biermann hat Hoffnung: „Schließlich sind die Israeliten ja auch 40 Jahre lang durch die Wüste geirrt, bevor sie im Gelobten Land angekommen sind“, sagte er am Schluss des dichten Abends.
Bildunterschrift: Wolf Biermann beschloss am 11. September die Reihe „DomGedanken“ im St.-Paulus-Dom in Münster.
Foto: Bischöfliche Pressestelle/Jürgen Flatken