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Meine Parkbank am Champs-Élysées

Für Peter Bichsel ist ein Tisch nicht unbedingt ein Tisch und für mich ein Mittwochmorgen nicht zwingend schnöder Alltag. Denn wenn für die meisten die Pflicht ruft, beginne ich zu träumen.

Unendlich viele Kinderbücher haben es persifliert ohne es zu merken: Automobilkorsos, wie sie sich, Stoßstange an Stoßstange über den Asphalt und durch die Seele der Stadt drängen. Mit Scheinwerfern, die die aufgehende Sonne verdunkeln und Musik aus dem Radio, die ersetzbar wie ein Frühstücksbrötchen zum Begleitwerk eines Ritual wird, ohne sich dabei besonders individuell hervor zu tun.

Immer, wenn ich des Morgens mit einem Kaffee und einer Zigarette das Schauspiel des anbrechenden Irrsinns vom Fenster meiner kleinen Mansarde beobachte, wartet ein kleiner Junge in meinem Kopf auf Zeilen wie „Und wenig später, als der Papa dann nach Hause kam, gab es noch einen liebevollen Klaps auf den Po und einen Kuss auf die Stirn, sodass die Nacht herein brechen konnte“, auch wenn im aktuellen Fall das andere Ende des Tages seine Herrschaft über so viele Leben in den Topf des Daseins wirft: Rien ne vas plus – nichts geht mehr. Ob es heute passiert? Kommen endlich meine Zahlen, hat sich der Einsatz gelohnt?

Man mag aber gar nicht dran denken, worauf sich die grauen Gesichter mit der Frustration des eigenen Lebensgefängnisses freuen, ein neues Auto, Urlaub, mehr Geld?

Ich glaube kaum, dass sie wie ich an Mädchen wie Jane Birkin denken und kann nicht begreifen, dass es andere Wünsche gibt als die natürliche Anmut eines beinahe unschuldig wirkenden Mädchens, dessen unspektakuläre Maße meine Gedanken durch ihre Zahnlücke inhaliert. Große Augen, die naiv die Farben der Welt wie eine Cola durch einen gigantischen Strohalm in sich aufsaugen.

Wie gern wäre ich der Koch im Geist dieser beinahe androgynen Amazone, der aus Eindrücken Erinnerungen kreiert oder selbst als Wunschtraum erdacht wird. Wie gern würde meine Leib von so viel unschuldiger Herzenswärme umschlungen und liebkost werden. Und wie dringend bedarf es unsere moderne Gesellschaft das Radio von „und jetzt das Wetter auf „Je t‘ aime moi non plus“ zu drehen. Wohlig die Physis in vorgewärmte Ledersitze versinken zu lassen statt den Rücken gerade zu machen.

Aber die meisten gehen oder fahren sich lieber ablenken, Geld verdienen, um sich leisten zu können, was sie nicht brauchen, höchstens um nicht an Jane oder ein anderes persönliches Pendant zu denken.

In meiner kleinen Mansarde mit dem vertrockneten Lavendel neben einem Kinderbild meiner Tochter ist der Fernseher nicht vorhanden, Alexa verboten und Rechnungen nur Papier mit Zeichen, die nicht meine Sprache sprechen. In dieser kleinen Mansarde an einer Hauptstraße im Nirgendwo, ist die Welt zu einem Traum glorifiziert, bei dem konstruierte romantische Gedanken sich umarmen und Tristesse nur neidisch zum Zuschauer degradiert wurde, gibt es Croissants mit schwarzem Café zum Frühstück und seidenweiche Haut in der Morgensonne als Aperetif des Sinnierens. Und wenn ich erwache, giere ich nach einem Weg zurück in die Harmonie der Liebe, weil mein Herz in keinem SUV der Welt genug Platz hätte.

Meine glücklichsten Momente waren auf einer Parkbank am Champs-Élysées, im Arm einer Dame deren Streicheleinheiten meinen Blick in den blauen Himmel mit Tränen zum Schließen zwingen während unzählige Blumen auf uns herabgleiten und kalte Blecheinheiten sich wie eine Lawine durch die Zeit graben.

Vielleicht hat der ein oder andere mittlerweile durch den exorbitanten Fleiß eine Jane Zuhause, aber nur wenige sind in der Lage, dieses Privileg als das zu genießen, was es ist: ein unwiederbringliches Glück, das einen für ein ganzes Leben prägt.

Mag sein, dass weder in meinem Bett noch auf den Parkbänken meiner Zukunft jemals wieder eine Jane Birkin ihren Platz findet, aber in meiner Phantasie ist sie so omnipräsent, wie für andere die Stoßstange des Vordermanns auf dem Weg zur Arbeit.

Ihr Gainsbourg d‘Allemagne

Bild: Pixabay


Text: adolf.muenstermann@gmail.com