COVID-19 erschwert die Bekämpfung von HIV in vielen Teilen der Welt. Damit verzögere sich der globale Plan, die Aids-Pandemie bis zum Jahr 2030 zu beenden, kritisierten die geschäftsführende Direktorin des Joint United Nations Programme on HIV and Aids (UNAIDS), Winnie Byanyima, und der Geschäftsführer des Global Funds, Peter Sands, gestern bei einem digitalen Pressegespräch. Daher definiert UNAIDS nun neue Ziele für 2025.
SARS-CoV-2 habe einen geringeren Einfluss auf die HIV-Versorgung gehabt, als zunächst befürchtet. Doch sowohl die Präventionsarbeit als auch HIV-Tests und -Therapien würden durch COVID-19 behindert, sagte Byanyima.
Beispielsweise sei die Zahl der HIV-Infizierten unter antiretroviraler Therapie im ersten Halbjahr 2020 um 2,4 Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum 2019 war der Anstieg doppelt so hoch (4,8 Prozent).
Die Lage habe sich in den meisten der am stärksten von HIV betroffenen Länder in Subsahara-Afrika verbessert, so Byanyima weiter. Gleichzeitig gab es jedoch in Teilen Osteuropas, in Südamerika, Zentralasien und dem Mittleren Osten sowie in Nordafrika zunehmend mehr HIV-Infizierte.
Besonders unter homosexuell aktiven Männern, Sexarbeiterinnen, Transgenderpersonen und Konsumenten intravenöser Drogen verbreite sich HIV derzeit wieder stärker. Aber auch junge Frauen würden vermehrt infiziert, erklärte die UNAIDS-Direktorin.
Grund für die steigenden HIV-Infektionszahlen sei nicht fehlendes Wissen, sondern die Ressourcenknappheit für die Pandemiebekämpfung. Das sei inakzeptabel, angesichts effektiver bezahlbarer und verfügbarer HIV-Therapie- und Präventionsmöglichkeiten, heißt es im UNAIDS World Aids Day Report 2020.
„Wir erfüllen nicht die Ziele, die wir dieses Jahr angestrebt haben“, erläuterte Byanyima. Zum Beispiel sollten bis Jahresende 30 Millionen HIV-infizierte Menschen eine Therapie bekommen haben. Für dieses Ziel fehlen jedoch noch etwa vier Millionen Therapiezugänge.
Das liege nicht allein an der SARS-CoV-2-Pandemie, denn schon vorher sei die Staatengemeinschaft hinter ihre Ziele für 2020 zurückgefallen. Der Report, der heute veröffentlicht wird, stelle daher neue Ziele bis zum Jahr 2025 auf. Deren Erreichen soll das Vorhaben, AIDS bis 2030 zu beenden, wieder möglich machen.
Die neuen Ziele für 2025 sollen die Menschen die mit HIV leben und die besonders gefährdeten Populationen ins Zentrum rücken sowie Stigmata und daraus folgende Diskriminierungen weiter abbauen. Das Papier betont zudem stärker als bisher die Beseitigung gesellschaftlicher und rechtlicher Hindernisse für HIV-Dienstleistungen und pocht auf deren Integration in die reguläre Versorgung.
Das bisher erfolgreichste Ziel, die „90-90-90“, wird darüber hinaus erweitert: Bis 2025 sollen nun 95 Prozent der Infizierten ihren HIV-Status kennen, 95 Prozent davon sollen eine Antiretrovirale Therapie bekommen und wiederum 95 Prozent der Behandelten sollten so die Viruslast unter der Nachweisgrenze halten.
Im vergangenen Jahr hatten sich weltweit etwa 1,7 Millionen Menschen neu mit HIV infiziert. Fast 700.000 Menschen waren 2019 durch AIDS-assoziierte Erkrankungen verstorben. Nach einem Modell des UNAIDS könne es pandemiebedingt in diesem Jahr, zusätzlich zur prognostizierten Entwicklung, mehr als 290.000 HIV-Infektionen und um die 150.000 HIV/AIDS-assoziierten Todesfälle geben.
„Wir müssen den Kampf diesmal beenden“
Pandemien hätten schon immer gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und Barrieren deutlich aufgezeigt, sagte Peter Sands vom Global Fund. Bei COVID-19, wie bei der HIV-Pandemie, sei es jedoch unerlässlich, auch marginalisierten Bevölkerungsgruppen den Zugang zu Therapien und Präventionsmaßnahmen zu sichern.
So habe sich beim Kampf gegen HIV oder Tuberkulose gezeigt, dass internationale Anstrengungen nachgelassen hätten, sobald weniger Menschen in westlichen Staaten an ihnen starben, so Sands weiter. Die Krankheiten seien zu „Langzeitproblemen“ erklärt worden. Die Welt dürfe jedoch nicht zulassen, dass das auch bei COVID-19 geschehe.
„Wir müssen den Kampf diesmal beenden, um wirklich niemanden zurückzulassen“, sagte er. Denn wenn wir doch wüssten, wie eine Krankheit behandelt werden kann, dann sei es eine aktive Entscheidung, dies nicht auch für jeden und jede zu ermöglichen.
Doch Sands befürchtet, dass sich westliche Länder erneut von ärmeren Ländern abwenden würden, sobald sie einen Impfstoff hätten. Trotz derzeit vieler Solidaritätsbekundungen aus Staaten wie Deutschland bleibe abzuwarten, ob die Versprechen auch bei Budgetentscheidungen vertreten werden. Sein Schreckensszenario sei, dass die ärmere Hälfte der Welt dann ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung neben HIV, Tuberkulose und Malaria auch mit SARS-CoV-2 zu kämpfen habe.
„Wir müssen diese Krise nutzen, um sicherzustellen, dass wir nie wieder in eine Lage kommen, in der wir uns in diesem Jahr befunden haben“, erklärte B*anyima. Dafür benötige es Transparenz seitens der Staaten sowie der Pharmaunternehmen. Neben Steuergeldern, die zur Entwicklung der SARS-CoV-2-Impfstoffe eingesetzt wurden, müssten auch Staaten, an deren Populationen die neuen Wirkstoffe getestet werden, Vergünstigungen erhalten. Zudem müssten die Preise der kommenden Impfstoffe offengelegt werden, um eine faire Verteilung zu gewährleisten.
Die Impfstoffhersteller hätten bereits begriffen, dass das Recht auf
Gesundheit aller schwerer wiege, als das Recht auf Profit einzelner,
schloss Byanyima.
Quelle: jff/aerzteblatt.de
Foto: Winnie Byanyima/ picture alliance, SALVATORE DI NOLFI