Zum Inhalt springen
OZD.news - News und Nachrichten zum Nachschlagen

Jetzt erstmal ein Bier

Die ganze Welt redet vom globalen Wahnsinn in all seinen Facetten. Aber wie sieht das Chaos der Moderne im Kopf des Proletariats aus? Stippvisite in die Köpfe der gesichtslosen Massen im Rinnstein vor unserer Haustür.


Nachdem das „Norgel“, wie man in Bayern den letzten Tropfen Bier nennt, den selbstgedrehten Stummel Lungenkrebs ertränkt hatte,verlor sich das kleine Dickerchen in einem Hustenanfall,bevor er müde im Siff der männlichen Singlewohneinheit sein Haupt auf dem vertrockneten Flokati zur Ruhe legte.

Doch im Kopf des armen Hundes, den die Ämter Tom Roth und der Rest der Welt den kleinen Drecksack nannte, konnte von Entspannung keine Rede sein. Fragmentarische Verflossene und physisch diesem Ideal näher kommende Alkoholika in diversen Expressionen, spielten neurologisches Ping-Pong. Der Suff als Ursache hyperbolischen Selbstbewusstseins und dessen Opposition wurde zum omnipräsenten Gestaltungsmerkmal von Gedanken, die jeglicher Ordnung entbehrten. Tränen geistig Kultivierter Trauer manifestierten sich in Schweißperlen auf dem fahlen Gesicht, dessen Ausdruck so leer war, wie die Flaschen, die seinen Aufmerksamkreis im Refugium der Verlorenheit definieren.

Üppige sowie zierliche weibliche Rundungen, die er einst sanft liebkoste, flüchteten in der Physis der Sucht aus seinen Gedanken. Keine kognitive Repräsentation konnte die Sehnsucht befriedigen, nach der er so gierte und von denen sich der Geist hinter dem Gesicht des straßenköterblonen Lockenkopfes samt ungepflegten drei-Tage-Bart doch so dringend emanzipieren musste.

Morgen ist Schluss, morgen wirklich“, aber der so unmissverständliche Zeitpunkt verteilte sich auf Daten, die als verwirrende Zahlen die Ohnmacht der Verzweiflung nur noch weiter unterstrichen.

Und als die Sonne mit letzter Kraft ihren Körper die winterlichen Gefilde seiner Aussicht ungeschminkt als Realität freilegten, reichte die Kraft dieses deutschen Henry Chinaski nur zum aufsammeln des Leergutes, das zum Leben zu viel und zum Sterben zu wenig summierte.

Drei Bier und einmal Blättchen für die Stummel, die gestern auf dem Boden erstickt wurden, gerieten so zum Hoffnungsschimmer der Hoffnungslosigkeit. Schöne neue Welt, dachte er sich, als die pisswarme Plörre des Nachschubs die zittrigen Finger beruhigten.

Dude, Deine Geschichten müssen sich von der Geisel des Horrors vergangener Eskapaden befreien, waren die dreizehn Wörter die im Punkt am Ende des Dokumentes die Selbstkasteiung beendeten. Wenn du nicht endlich den Fokus auf orgiastische Momente im Museum oder atemlose Leidenschaft inmitten satter Wildblumen verlagerst, werden die Früchte deiner geistigen Ergüsse maximal für ein Mitleidsbier reichen. Vielleicht morgen, lächelte er der niedlichen Verkäuferin des Supermarktes seines Vertrauens tief verborgen seiner kleinen Welt hinter den Spiegeln zu.

Und vielleicht werde ich mich auch morgen endlich überwinden, sie anzusprechen. Aber als der neue Tag graute, war das Schneewittchen des Pöbels samt Arbeitsstelle verschwunden:

Reopen Dezember 2021.


Jetzt erstmal ein Bier.


Textauszug mit freundlicher Genehmigung von Michel Sturm


Bild: Pixabay