Münster (dgu) - Es ist ein Novum in der Andrologie: Erstmals in ihrer Geschichte veranstalten die International Society of Andrology (ISA), die European Academy of Andrology (EAA) und die Deutsche Gesellschaft für Andrologie (DGA) einen gemeinsamen Kongress. Nach der Devise „drei Gesellschaften - ein Kongress“ wurde der 12. International, 11. European and 32. German Congress of Andrology, kurz: Andrology 2020, ins Leben gerufen.
Seine Premiere begeht der weltweit größte Andrologie-Kongress coronabedingt digital: Andrology 2020 läuft vom 5. bis 9. Dezember 2020 online. Organisiert und durchgeführt wird das andrologische Großereignis in Münster, einem international renommierten Standort der Andrologie, unter der Leitung der beiden Tagungspräsidenten Prof. Sabine Kliesch, Chefärztin der Abteilung für Klinische und Operative Andrologie, Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie (CeRA) am Universitätsklinikum Münster, und Prof. Stefan Schlatt, Direktor des CeRA, Westfälische Wilhelms-Universität Münster.
Ursprünglich wurden rund 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aller Kontinente vor Ort in Münster erwartet, doch infolge der Corona-Pandemie musste auch dieser Kongress in ein digitales Format überführt werden. „Die Transformation unseres neuartigen Kongress-Konzeptes von einer Präsenzveranstaltung in ein virtuelles Treffen war eine weitere enorme Herausforderung“, sagt Prof. Kliesch. „Wir danken allen Beteiligten der drei Gesellschaften für ihre großartige Zusammenarbeit“, ergänzt Prof. Schlatt und betont, dass Andrology 2020 als Online-Kongress zugleich auch eine große Chance sei, der internationalen Fachwelt die virtuelle Teilnahme rund um den Globus ohne Anreise zu ermöglichen.
Für den Präsidenten der ISA, Prof. Andreas Meinhardt von der Universität Gießen, die Präsidentin der EAA, Prof. Csilla Gabriella Krausz von der Universität Florenz, und die DGA-Präsidentin Prof. Kliesch bietet der erste gemeinsame Kongress der drei großen Vertretungen in der Andrologie ein noch nie dagewesenes Forum, um Aktuelles aus ihrem Fachgebiet in allen Facetten und für alle Betroffenen abzubilden.
Zu ihnen gehören sowohl Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler, als auch Klinikerinnen und Kliniker, die schwerpunktmäßig in der Andrologie tätig und in Deutschland vor allem in Urologie, Endokrinologie und Dermatologie vertreten sind. International zählen zudem viele Kinderärzte, Genetiker und Reproduktionsmediziner zum Fach.
Andrology 2020 beinhaltet sowohl ein Fortbildungs- als auch ein Wissenschaftsprogramm, das den gesamten Bereich von der Grundlagenforschung bis zur Klinik abdeckt und den Bogen von der Fertilitätsprotektion über die Sexualmedizin und den alternden Mann bis hin zu Spezialthemen wie der Spermien- oder Nebenhodenfunktion und männlichen Kontrazeption spannt.
Überdies werden von den drei Fachgesellschaften zahlreiche Stipendien an ausgewählte Nachwuchswissenschaftler vergeben, die insgesamt 222 Abstracts eingereicht haben. Sechs Plenarsitzungen, mehr als 20 Symposien und 110 geladene international bekannte Top-Referenten sowie 15 Poster-Sessions mit 181 Präsentationen spiegeln die Breite des Programms.
Den Auftakt macht die deutschsprachige DGA-Jahrestagung vom 5. bis 6. Dezember mit weiteren acht Symposien und vielen Live-Vorträgen, auch aus der Organisationszentrale im CeRA in Münster. „Die DGA wird in diesem Jahr vier Vortrags- und vier Posterpreise sowie erstmals einen Publikationspreis der Fachgesellschaft vergeben“, sagt Prof. Kliesch, die Ende 2019 als erste Frau zur DGA-Präsidentin gewählt wurde. Am Nachmittag des 6. Dezember beginnt das internationale Kongressprogramm, das die Programmkommissionen der ISA, der EAA und der DGA gemeinsam aufgestellt haben.
Vor dem Hintergrund vieler Publikationen zu einer abnehmenden Spermienkonzentration und -qualität sehen die lokalen Organisatoren Kliesch und Schlatt Erkenntnisgewinn etwa bei der Infertilitäts-Diagnostik, wo die Genetik immer weitere Aufschlüsse zulässt und neue Marker für Spermienfunktion und -bildung aus der Grundlagenforschung inzwischen in die Klinik kommen.
„Und die Neubildung von Spermien aus Hodenstammzellen gewinnt vor diesem Hintergrund noch eine viel größere Bedeutung“, so Schlatt, der in diesem Themenfeld seinen wissenschaftlichen Schwerpunkt hat.
Zunehmend an Bedeutung gewinnt die Erkenntnis, dass die Fruchtbarkeit des Mannes wie ein Fenster zur Gesundheit ist. „Männliche Fertilität ist ein Merkmal, das mit Gesundheit einhergeht. Epidemiologische Studien zeigen, dass schwerstinfertile Männer im späteren Leben deutlich häufiger Begleiterkrankungen entwickeln, die ihre weitere Lebenserwartung beeinflussen“, erklärt Prof. Kliesch.
Das sei von gesundheitspolitischer und gesellschaftlicher Relevanz und müsse die Beratung betroffener Männer mit Blick auf die Sekundärprävention verändern und künftig berücksichtigt werden, so die Urologin und renommierte Andrologin.
Auch zum Hormonhaushalt des Mannes gibt es neue Daten. Große Testosteron-Studien aus den USA und Studien zum Zusammenhang zwischen männlichem Hypogonadismus, einer Unterfunktion der Hoden, die mit einem Testosteronmangel einhergeht, und kardiovaskulärem Risiko sowie Diabetes mellitus zeigen deutlich, dass Testosteron ein wichtiger Metabolit ist, der ganz wesentliche Steuerungsfunktionen im männlichen Organismus hat.
„Testosteron ist also weit mehr als ein Lifestyle-Medikament für den Mann, wie immer wieder angeführt wird“, betont DGA-Präsidentin Kliesch. Allein in Deutschland sind bis zu 5 Prozent aller Männer von einem Testosteronmangel aus unterschiedlichen Gründen und in unterschiedlichen Lebensphasen betroffen.
Vorgestellt werden im Rahmen von Andrology 2020 ebenfalls neue Leitlinien, die die Fachgesellschaften konzipiert haben. Darunter ist die erste Leitlinie zum Klinefelter-Syndrom, welche die EAA unter Federführung von Prof. Michael Zitzmann, CeRA Münster, erstellt hat und die einen Meilenstein bei der Versorgung der Betroffenen darstellt.
Männer mit einem Klinefelter-Syndrom haben ein zusätzliches X-Chromosom in ihrem Chromosomensatz, sind meist unfruchtbar und leiden häufiger an einem Metabolischen Syndrom, Osteoporose oder Blutarmut, auch infolge eines Hormonmangels. Obwohl das Klinefelter-Syndrom einen von 500 Männern betrifft, bleibt es oft unentdeckt.
Um die Krankheitserkennung zu optimieren, werden auch erste Daten zur Anwendung künstlicher Intelligenz zur Erkennung des Klinefelter-Syndroms vorgestellt. Mit Spannung werden auf dem weltweit größten Andrologie-Kongress außerdem Vorträge zu COVID 19 in der Andrologie erwartet, etwa zum Zusammenhang zwischen Krankheitsverlauf und Testosteronmangel.
Den durchgängig aufgezeichneten Vorträgen des englischsprachigen Programms folgen interaktive Live-Diskussionen mit den Referenten, die den internationalen Austausch unter den Teilnehmenden ermöglichen. Damit die virtuellen Besucher in allen Zeitzonen der Welt teilhaben können, werden die Kongressinhalte über das Streaming hinaus bis zum 9. Januar 2021 für registrierte Teilnehmer abrufbar sein. Insgesamt sind 30 CME-Punkte beim digitalen Andrology 2020 erreichbar.
Quelle: WWU Münster
Foto: Bertram Solcher. Prof. Stefan Schlatt und Prof. Sabine Kliesch