Haben Sie sich in letzter Zeit gefragt, wie sich soziale Distanzierung und Selbstisolation auf Ihr Gehirn auswirken können? Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Erin Schuman vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung entdeckte ein Hirnmolekül, das als „Thermometer" für die Anwesenheit anderer in der Umgebung eines Tieres fungiert. Z*brafische "spüren" die Anwesenheit von Artgenossen über spezifische mechanische Reize und Wasserbewegungen – dies aktiviert das Gehirnhormon.
Unterschiedliche soziale Bedingungen können zu langanhaltenden Veränderungen im Verhalten von Tieren führen. So kann beispielsweise soziale Isolation verheerende Auswirkungen auf Menschen und Tiere haben, zum Beispiel Z*brafische. Bislang weiß man nur wenig über die Gehirnsysteme, die die soziale Umwelt wahrnehmen.
Um zu untersuchen, ob neuronale Gene auf dramatische Veränderungen in der sozialen Umgebung reagieren, hielten der Doktorand Lukas Anneser und seine Kollegen Z*brafische in Isolation oder zusammen mit anderen Fischen über verschiedene Entwicklungszeiträume hinweg. Die Forschenden verwendeten RNA-Sequenzierung, um die Expressionsniveaus von Tausenden neuronaler Gene zu messen.
Erfassung der Dichte von Artgenossen
„Wir haben eine Handvoll Gene gefunden, deren Aktivität bei Fischen, die in sozialer Isolation aufgezogen wurden, konsequent verändert waren. Eines davon kodiert das Nebenschilddrüsenhormon 2 (Pth2), ein relativ unbekanntes Peptid im Gehirn. Überraschenderweise spiegelte die Expression von pth2 nicht nur die Anwesenheit anderer Z*brafische, sondern auch deren Populationsdichte wieder. Als Z*brafische isoliert wurden, verschwand pth2 im Gehirn, aber das Expressionsniveau stieg - wie ein Thermometerstand - an, wenn sich andere Fische in demselben Becken befanden", erklärt Anneser.
Die Forschenden testeten zudem, ob sich die Auswirkungen der Isolation umkehren ließen, indem sie die zuvor isolierten Fische in ein soziales Umfeld brachten. „Nach nur 30 Minuten Anwesenheit von Artgenossen kam es zu einer signifikanten Erholung der pth2-Werte. Nach zwölf Stunden im Becken mit den Artgenossen waren die pth2-Werte nicht mehr von denen zu unterscheiden, die wir bei sozial aufgezogenen Tieren beobachteten", sagt Anneser. „Diese deutliche und schnelle Regulation war unerwartet und deutet auf eine starke Verbindung zwischen der Genexpression und dem sozialen Umfeld hin", so Anneser.
Welche sensorische Modalität nutzen die Tiere also, um Artgenossen zu erkennen und so Veränderungen in der Genexpression zu bewirken? „Wir konnten demonstrieren, dass die sensorische Modalität, die die pth2-Expression steuert, nicht das Sehen, Schmecken oder Riechen war, sondern die Wahrnehmung mechanischer Reize - Z*brafische ‚fühlten' tatsächlich die Schwimmbewegungen der sie umgebenden Artgenossen", erklärt Schuman.
Wahrnehmung von Wasserbewegungen
Fische nehmen Bewegungen in ihrer unmittelbaren Umgebung über die Seitenlinie, ein besonderes Sinnesorgan wahr. Um die Rolle mechanischer Wahrnehmung bei der Steuerung der pth2-Expression zu testen, entfernte das Team die mechanosensitiven Zellen innerhalb der Seitenlinie des Fisches. Bei zuvor isolierten Tieren verhinderte die Entfernung dieser Zellen den Anstieg des Neurohormons, das zuvor zuverlässig durch die Anwesenheit anderer Fische induziert werden konnte.
So wie wir Menschen berührungsempfindlich sind, scheinen Z*brafische besonders auf die Schwimmbewegungen anderer Fische zu reagieren. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Wasserbewegungen, die durch das Schwimmverhalten von Artgenossen im Becken verursacht werden, Veränderungen der pth2-Expression induzieren.
„Z*brafisch-Larven schwimmen auf eine besondere Weise, wobei sich schnelle Flossenschläge und kurze Gleitphasen abwechseln. Wir ahmten die resultierenden Wasserbewegungen nach, indem wir einen Motor darauf programmierten, Fischbewegungen zu simulieren. Interessanterweise führten die künstlichen Bewegungen bei zuvor isolierten Fischen zu einer Erhöhung des pth2-Expressionslevels, fast genauso wie bei echten Artgenossen", erklärt Anneser.
„Unsere Daten geben Hinweise auf eine überraschende Rolle für das relativ unerforschte Neuropeptid Pth2 - es erfasst die Populationsdichte des sozialen Umfeldes eines Tieres und reagiert auf Veränderungen dieser Umgebung. Es ist klar, dass die Anwesenheit von Artgenossen dramatische Auswirkungen auf den Zugang eines Tieres zu Ressourcen und letztlich auf sein Überleben haben kann. Daher ist es wahrscheinlich, dass dieses Neurohormon das ‚soziale Gehirn‘ und Verhaltensnetzwerke reguliert", schlussfolgert Schuman.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft
Foto: Max-Planck-Institut für Hirnforschung / J. Kuhl