Es hat wohl noch kein Mensch das Gedankenexperiment Unsterblichkeit durchgeführt. Da kommen Bilder vom Ur-Ur-Urgroßvater, der in der Blüte seines Lebens die Kinder der Kindes Kinder zur Schule bringt und nachher im Porsche mit der knackigen Freundin mit 500 PS im Cabriolet in den Sonnenunter- oder Aufgang reitet oder die Lust am Laster, die folgenlos kultiviert werden können.
Aber ist es wirklich so wünschenswert, ewig zu leben?
Ist es nicht die Endlichkeit des Momentes, die jeden einzelnen so besonders macht? Warum Bunge-springen, wenn nicht die scheinbare Überlistung der Sterblichkeit durch künstlichen Endorphin Ausstoß ausbliebe? Warum der Drang zur Entscheidung, die Freude über eine richtige, wenn jede valide ist, weil man ja unendlich viel Zeit hätte, alles nachzuholen? Man wäre nie, für Nichts zu alt.
Und was ist mit dem Weltuntergang rein astro-physikalisch? Wenn die Sonne verglüht und die Erde mit sich reißt? Lernt der Ur-Ur-Ur-Enkel, der soeben vom fitten Grandpa zur Schule gebracht wurde, damit umzugehen, dass er am Ende gemeinsam mit allen Menschen verglüht? Oder gar, dass er kurz vorher über einen zukünftigen USB in binäre Informationen transformiert wird und so glaubt, unendlich leben zu können?
Wäre es wirklich wünschenswert, in x Milliarden Jahren und nach x Millionen Jahren auf der Erde, plötzlich Jahrzehnte in einer Kapsel zu einem anderen Planeten zu reisen, der womöglich dergestalt lebensfeindlich wäre, dass sein Minimalismus beinahe jeglichen gewohnten Komfort unmöglich macht?
Gut, sie werden vielleicht sagen, daran kann man sich gewöhnen und es darüber kultivieren, wir hätten ja genug Zeit, aber will man sich an derlei Realitäten gewöhnen?
Ziehen wir nicht die ganze Lebensfreude an Alkohol, Sex, Grenzerfahrungen oder auch Drogen aus dem unmissverständlichen Faktum, der einzigen unausweichlichen Tatsache, dass unser Dasein endlich ist? Wünscht man sich nicht Kinder, um in ihnen weiter zu leben und nicht mit ihnen? Warum erziehen, schmerzliches reglementieren, wenn es nicht die Hoffnung auf mehr Lebensqualität des Nachwuchses implizieren müsste?
Das verdorbenste Subjekt hätte keine Angst mehr vor Knast oder anderem, wenn zwanzig Jahre nur ein kleiner Augenblick der Ewigkeit wären? Wie sähe unsere Welt aus? Wo bliebe die Menschlichkeit, wenn es keine falschen Handlungen mehr gibt? Und da ist weniger relevant, was der Einzelne für richtig oder falsch hält, denn es würde uns alle tangieren, denn plötzlich wäre alles erlaubt.
Wo bliebe die Freude, wenn man eine Garantie darauf hätte, weil man ja genug Zeit hat, dass sie einen ereilt? Und kann ich die Freude dann überhaupt noch empfinden, wenn man nach vielleicht 200 ätzenden Jahren das Gefühl an sich vielleicht vergessen hätte? Oder was wäre das Schöne an der Freude, wenn sie nie enden würde?
Das orgiastische an Glücksmomenten beruht doch darauf, dass sie rudimentär sind, also nicht ewig. Gäbe es überhaupt noch den Ausstoß von Nähehormonen wie Oxitocin, wenn sie nie aufhören würden? Der Ausstoß von Dopamin und Serotonin beruht doch auf der unbedingten Lebenserhaltung? Das So-schnell-laufen-wie -nie vor einem Säbelzahntiger ist doch einem Lebenserhaltungstrieb geschuldet und der sexuelle Orgasmus auch. Er ist die Belohnung des Lebens für die Erfüllung der Aufgabe, Leben gezeugt zu haben, zumindest potentiell? Warum wäre das noch nötig, wenn keiner mehr sterben würde? Abgesehen davon, könnte der Planet gar nicht weiter existieren, da der Kreislauf von Eisen und anderen Mikroatomen gestört würde, wenn der Tod, also der Übergang von einem Zustand in den anderen, nicht mehr vollzogen würde?
Ich glaube unendliches Leben würde auf Dauer wahnsinnig langweilig werden, trister als es der mieseste Job je sein könnte, den man, ganz nebenbei im „worst case“ ewig machen müsste, man käme ja nie ins Rentenalter. Das große Ziel, das man anstrebt, wäre nur noch eine unwichtige Etappe, weil es ja nicht mehr besonders ist. Es gäbe unendlich viele Menschen die gleichzeitig Arzt, Physiker, Philosoph und Maurer wären. Was macht jemanden besonders, wenn sein Charakter nicht mehr das Vehikel zum Individualismus wäre. Dann studiert man halt hundert Jahre Medizin, (der Wendler würd an dieser Stelle wohl „singen“: Egal!)
Nur weil wir sterben, ist jeder Moment und jedes Ereignis unbezahlbar. Erst der Tod gibt dem Leben seinen Sinn.
Morgen ist der vierte Advent, wir zelebrieren „Ankunft“. Dann nicht mehr. Weil selbst das Warten auf Godot irgendwann ganz sicher ein Ende hätte. Nein, für mich wäre das nichts. Was nicht heißt, dass man den Tod glorifizieren oder gar provozieren sollte. Das Ende, der Tod, macht das Leben doch so besonders und wenn wir Epikur Glauben schenken, brauchen wir auch gar keine Angst vor ihm zu haben, denn wenn wir leben, ist er nicht da und wenn der Sensenmann einen umarmt, ist das Leben doch nicht mehr existent.
Bild und Text: adolf.muenstermann@gmail.com