In weiten Teilen der Gesellschaft ist Suizid noch immer ein Tabuthema,
über das viele Vorurteile kursieren. "Einige dieser Mythen können
lebensgefährlich werden", sagt Dr. Petra Hunold,
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Die Chefärztin leitet
die Abteilung Depressionsbehandlung in der Klinik Lippstadt des
Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Die größten Irrglauben
stellt sie hier richtig:
Wenn man Menschen auf Suizidgedanken anspricht, bringt man sie erst recht auf die Idee.
Petra Hunold: Von diesen Befürchtungen sollte man sich
freimachen und mit psychisch Kranken einfühlsam, aber sachlich umgehen.
Man verursacht keine Suizidgedanken, indem man sie anspricht. Im
Gegenteil: Viele depressive Menschen schämen sich für ihre
Suizidgedanken und reagieren erleichtert, wenn sie sich endlich jemandem
mitteilen können. Es kann ihnen also sogar helfen, wenn jemand sie auf
ihre Suizidgedanken anspricht.
Wer Suizidgedanken äußert, will nur Aufmerksamkeit. Menschen, die sich wirklich umbringen möchten, tun das ohne Vorankündigung.
Petra Hunold: Jede suizidale Äußerung ist Ausdruck einer inneren Notlage und kann eine lebensbedrohliche Situation sein. Wer Suizidgedanken äußert, braucht Hilfe. Studien haben ergeben, dass etwa 80 Prozent aller Suizide vorher angekündigt wurden. Freunde und Verwandte sollten derartige Äußerungen also in jedem Fall ernst nehmen. Der Lichtblick: Sprechen Betroffene über diese Gedanken, können Fachleute ihnen in der Regel noch helfen.
Wenn es jemandem besser geht, bedeutet das, dass man sich keine Sorgen mehr machen muss.
Petra Hunold: Diese These birgt tödliche Gefahren: Normalerweise durchläuft ein Mensch verschiedene Phasen, bevor er sich umbringt. Am Anfang entwickeln Betroffene Angst vor ihren eigenen Suizidgedanken und haben deshalb häufig das Bedürfnis, darüber zu sprechen. Entschließen sie sich dazu, sich tatsächlich etwas anzutun, wirkt diese vermeintliche "Lösung" häufig beruhigend. Für Außenstehende und Therapeuten wirkt es, als sei der Patient "über den Berg". Daher gilt: Geht es einem Depressiven plötzlich und ohne bekannten Anlass besser, muss man sich immer Sorgen machen und ganz genau nachhaken!
Wer sich umbringen möchte, ist psychisch krank.
Petra Hunold: Die meisten Menschen, die sich umbringen wollen, leiden tatsächlich an einer psychischen Krankheit. Aber ganz so einfach ist das Thema nicht: In zahlreichen Kulturen galt der Suizid lange Zeit als ganz alltägliche Entscheidung eines Menschen. Im alten Rom etwa war es völlig normal, Krisen durch einen Suizid zu lösen. In Japan wählten buddhistische Mönche den Suizid als Weg in die Unsterblichkeit. Und aktuell diskutieren wir hierzulande verstärkt über Sterbehilfe.
Und abschließend die Frage: Wer ist erste Anlaufstelle in einer akuten Krise?
Petra Hunold: Das kann je nach Situation und Person unterschiedlich sein. Es gilt aber in jedem Fall: Besser übertreiben als bagatellisieren - also lieber einmal zu häufig den Notdienst und die Polizei rufen, als sich anschließend Vorwürfe zu machen! Im Krisenfall besteht außerdem rund um die Uhr die Möglichkeit, sich selbst oder den Betroffenen beim Notdienst einer psychiatrischen Klinik vorzustellen. Ist die Situation nicht akut lebensbedrohlich, sind Haus- und Facharzt die richtigen Adressen.
Quelle: LWL
Foto: LWL. Dr. Petra Hunold ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und leitet die Abteilung Depressionsbehandlung in der LWL-Klinik Lippstadt.