Tokio, Berlin, Nairobi, Moskau und Rio, nur Stockholm spielt keine „persönliche Rolle, oder vielleicht die persönlichste von allen, in dem jetzt schon spanischen Serienklassiker Haus des Geldes. Beinahe unmerklich und meist unmerklich, gelingt den Machern von Haus des Geldes das Kunststück eines modernen Seriennarrativs (Erzählweise), das des Femininen.
In der ganzen Serie rund um den Professor samt seiner acht mit Städtenamen titulierten Hauptprotagonisten, sind die Frauen die Stars, aber endlich einmal nicht mit frigide feministischer Zickigkeit sondern kluger Authentizität.
In fünf Monaten möchte der Professor mit Koryphäen ihres Faches auf den Überfall der spanischen Nationalbankendruckerrei vorbereiten. Aber alles beginnt, Mit dem Anwerben der, man kann es nicht anders sagen, spanischen Aphrodite Tokio, die kurz davor ist von einer Spezialeinheit in ein neues Zuhause überführt zu werden. Wäre da nicht der Professor, ein unscheinbarer Außenseiter mit speziell subtilem Witz und unfassbar viel Charme, lockt sie mit dem Angebot auf 2, 4 Millarden Euro sicher in den klapprig roten SEAT Ibiza.
„Er ist ein Glückskind“ – wie er selber rudimentär nicht unerwähnt lässt.
Die fünf Monate auf dem Landgut, das studieren der perfekten Choreographie Bankraub ist eine phantastische Welt der kultivierten Patina. Sattes Sonnenlicht durch verschmierte Scheiben. Abgerockte Zimmer mit liebevollen Details, die über den Bildraum hinaus zu strahlen scheinen
Man will mit Moskau eine Rauchen, mit Berlin Wein trinken und Oslo zu den Hells Angels. Selbst der Chaos Computer Club würde einen begeistern, wenn Rio einen einführt. Aber als Mann möchte man am liebsten mit Tokio bis an die Zähne bewaffnet die HSBC Bank stürmen und dann, statt Rio ihre „geilen nackten Titten“ … bewundern. Aber bevor sie sich beschweren, es sind ihre selbstbewussten Worte die an dieser Stelle sekundäre Geschlechtsmerkmale sexuell hypostasieren, nicht dieser Autor.
Das Besondere an Haus des Geldes ist die Liebe zu jedem Detail, die man in dieser Produktion fühlt. Da überrascht einen ein gutes Drehbuch mit filmisch überraschend dargestellten Wendepunkten und kluge Gedanken im Tanz mit der Polizei verschmelzen zum Tango „sich berühren von Geschlechtern, Moral und Moderne.
Hier sind Frauen und Männer beide, Helden und Schweine. Verletzlich und stark, clever und naiv, kurz: echt. Natürlich finden sich in vier Staffeln auch Schwächen, die meist in zu viel Pathos daher kommen, aber selbst jene sind oft dialogisch oder bildlich so poetisch komponiert, dass man trotz „jetzt ist auch gut“ nicht weghören oder sehen mag. Man könnte ja was lernen.
Am liebsten möchte ich an dieser Stelle schon inne halten. Aber natürlich warten sie auf den Raub.
Rein geht es fast unspektakulär einfach, ohne langweilig zu werden. Immerhin hat der Professor den perfekten Plan. Aber jetzt gilt es, 67 Geiseln inklusive Premiumjoker, Geldpresse, Gier und Publikum zu lenken. Die Scheine sind bei Nairobi in besten Händen, aber 67 Geiseln sind wie 67 Pubertierende. Von absolut liebenswert bis „ich könnt sie an die Wand klatschen“, ist alles dabei. In Conclusio: Bei etwa acht Millionen Euro die Stunde (Produktionsoutput), hat man also viiiiel Zeit, Probleme zu bekommen, wenn das Ziel in die Milliarden geht. Und ausgeben, muss man es ggf. ja auch noch.
Das Haus des Geldes – ein orgiastisches Bilderlebnis auf dem unsichtbaren Netz filmischer Intelligenz. Warmherzig und untypisch reflektiert im Umgang mit Konvention, Status Quo, Moral und Liebe. Die Spanier verstehen sooo viel von Liebe.
„Ich weiß nicht mehr, auf welcher Seite die Guten sind“, flüstert die großartig besetzte Inspectora, ihrem am Krankenbett dem Freund ins Ohr.
Und als Zuschauer weiß man darüber hinaus nicht mehr, warum man so lang an offensichtlichen Klischees festhielt. Als Mann über Frauen und ich würde auch sagen umgekehrt. Das wichtige an der Moral ist die Ethik, als der Weg hin zum Ergebnis der Moral. Ähnlich verhält es sich mit unserem Habitus. In der geschlossenen Welt der Nationalbankdruckerei kommt man sich nah und langfristig nicht umhin charakterliche schwächen nachvollziehen zu können, auch wenn man sie nicht mag.
In Spanien gibt es wahrhafte Serienpoeten, die ohne Netflix und dem Hunger nach modernem "home Entertainment", bei aller Kritik, möglicherweise nie in Erscheinung getreten wären.
Daran könnte man sich auch mal ein Beispiel nehmen. Es muss nicht immer RTL sein.
Text: adolf.muenstermann@gmail.com
Bild: Redaktion stadt40