Ich hasse Dich! Und jedes weitere Wort folgt dem Geschmack des vorherigen wie Galle auf den trockenen Lippen einer durchsoffenen Nacht. Aus dem schutzbedürftigen Wesen ist ein Mensch geworden, dem es nach Emanzipation dürstet.
Vorwürfe, die bei anderen zu hohlen Phrasen generieren, treffen wie eine Kugel, angefüllt mit Sprengstoff mitten ins Herz und detonieren wie eine versehentlich scharf gemachte Handgranate. Das Herz pocht, wie kurz vor einer Exekution, weil man selbst schon der Bombenwerfer war. Man kennt das Gefühl der Verzweiflung, das nach Rache giert; das verzweifelt im Geist nach der Waffe sucht, die das Gegenüber zu Boden ringen soll.
Dieses perverse Gefühl der Überlegenheit, wenn man in seinen Erinnerungen die Schwäche gefunden hat, die es nun zu instrumentalisieren gilt. Und man kennt die Wollust der Befriedigung, wenn das Messer der eigenen Logik erstmalig einen nie vergesslichen Sieg errungen hat. Jede Träne im Antlitz des Gegenübers wirkt wie ein Geldregen auf dem just exponentiell wachsenden Selbstbewusstsein, dem Hügel des Vertrauens, auf dem nun Entscheidungen getroffen werden.
Es ist nicht der Kampf Gut gegen Böse, sondern der Kampf heute gegen morgen. High Noon, Sommersonnenwende. Jetzt bricht für die beiden Kontrahenten eine neue Zeit an. Man spürt die Kraft der eignen Stärke in jeder Faser des noch jungen Körpers, der sich anfühlt, als sei er aus Kryptonit.
Aber jetzt ist es anders. Wo man vor wenigen Augenblicken in der Endlichkeit selbst zur brutalsten Waffe der Logik vorgedrungen ist, setzt einen nun die Unbarmherzigkeit der mutierten eigenen DANN zum Gegenschlag aus. Man sieht im jugendlichen Teint das Gesicht der eigenen Eltern und reflektiert in ihnen das eigene Zusammensinken in die Embryonalstellung.
Es wird kalt. Du wirst alt. Jetzt. Es ist Zeit, sich auf das Alleinsein vorzubereiten. Jetzt beginnt der Abschnitt „davon hast Du keine Ahnung Papa“ und vor allem der „Du hast Recht“ Moment. Aber diese ewige Sekunde des Schmerzes birgt noch ein wesentlich explosiveres Potential. All die Liebe, Zuneigung und Wärme die man bis Dato dem Gegenüber gespendet hat, wird plötzlich zum Gefühl der offenen Rechnung. Das eigene Kind wird zum rationalen Gegner, dem nicht mit Wohlwollen, sondern Hass begegnet werden will. An diesem Punkt entscheidet sich, ob die Nähe zerbricht. Jetzt muss man zeigen, ob man wirklich erwachsen geworden ist.
Im Moment der größten Distanz muss man eine asymptotische Nähe erzwingen. Mit Schweigen, Verständnis und wahrer Liebe zu reagieren. Denn sonst kann man den Mut im Morgen nicht würdigen, der zum Klebstoff der Beziehung zwischen Eltern und Kind wird. Jetzt entscheidet sich, ob man im Gestern nur hohle Phrasen oder Verstand transportieren wollte. Blindes Vertrauen in die Liebe, wird sich ewig in diesem Streit begründen.
Am 27. Juni bin ich erwachsen geworden. Und am vorletzten Samstag hat das Schicksal geprüft, ob es auch bemerkt wurde. Seit Samstag vor zwei Wochen wissen Vater und Kind, dass aus bedingungsloser Liebe blindes Vertrauen geworden ist. Weil ich ausnahmsweise, ganz einfach mal die Fresse gehalten habe.
Endlich kenne auch ich es: Das Gefühl, nie allein zu sein, egal was kommt.
Auch und vielleicht gerade Weihnachten birgt viel von diesen besonderen Momenten. Nutzen Sie sie!
Text und Bild: adolf.muenstermann@gmail.com