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Krisensitzungen wegen neuer Virusvariante

Nach der Entdeckung einer neuen Variante des Coronavirus` SARS-CoV-2 in Südostengland ha­ben Großbritannien und die Europäische Union (EU) Krisensitzungen anberaumt.

London –  Ein Grund ist, dass der Verkehr von vielen EU-Staaten komplett unterbunden worden ist.

Ein Regierungssprecher von Großbritanniens Premierminister Boris Johnson sagte heute, in der Krisensit­zung seines Kabinetts gehe es vor allem um die „Situation bezüglich des internationalen Verkehrs“, ins­besondere des Frachtverkehrs. Angesichts geschlossener Grenzen und unterbrochenener Fährverbin­dun­gen hatten britische Verbände zuvor vor Versorgungsengpässen gewarnt.

„Das ist eine Hauptversorgungsroute für frische Produkte in dieser Jahreszeit“, sagte der Lebensmittelex­perte des Handelsverbandes BRC, Andrew Opie. Nur wenige Fuhrun­ternehmen würden die Gefahr ein­ge­hen, ihre Fahrer nach Großbritannien zu schicken – ohne eine Ga­rantie, dass diese auf den Kontinent zurückkehren können.

Wegen des Weihnachtsgeschäfts, großer Lieferungen von Medizin- und Pflegeprodukten infolge der Co­ronapandemie und der Ungewissheit über den Ausgang des Brexits herrscht ohnehin bereits seit vielen Tagen ein Lastwagenchaos auf den Zufahrten zum Ärmelkanal. Der Hafen Dover und der Eurotunnel sind seit der Nacht zum vergangenen Sonntag geschlossen.

Groß­bri­tanniens Ge­sund­heits­mi­nis­ter Mark Hancock sagte im Sender Sky News, die neue Mutation sei „außer Kontrolle“. Nach ersten Erkenntnissen der Behörden ist die Mutation deutlich ansteckender als die bisher bekannte Form. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass die Variante schwerere Krankheits­verläufe auslöse oder eine höhere Sterblichkeitsrate. Zudem gehen die Behörden bisher davon aus, dass Impfstoffe auch gegen die Mutation wirksam sind.

Hancock sagte, er mache sich große Sorgen um das Gesundheitssystem. Derzeit seien mehr als 18.000 Infizierte in den Krankenhäusern, das seien fast so viele wie zum Höhepunkt der ersten Infekti­ons­welle im Frühjahr. „Das ist ein weiterer Grund dafür, dass alle sich an die neuen Regeln halten und persönlich Verantwortung übernehmen müssen“, sagte er. Dem Sender Sky News sagte Hancock, jeder müsse sich so verhalten, als sei er mit Corona infiziert. „Das ist der einzige Weg, wie wir das Virus unter Kontrolle bekommen können.“

Wegen der raschen Ausbreitung der neuen Virusvariante gilt in London und anderen Gegenden in Süd­ost­england seit Sonntag ein neuer Shutdown mit weitreichenden Ausgangssperren, auch für die Weih­nachtstage. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die schärferen Maßnahmen noch Monate in Kraft bleiben müssten, bis flächendeckend geimpft werden könne, sagte Hancock.

Virus schon in Deutschland?

Die Virusvariante wurde auch bereits in weiteren Ländern nachgewiesen, darunter Italien, Belgien, die Niederlande und Dänemark. Der Chefvirologe der Berliner Charité, Christian Drosten, sagte heute im Deutschlandfunk, dass davon auszugehen sei, dass die Mutation auch Deutschland bereits erreicht habe. Er betonte, dass die Datenlage zu der Mutation aber noch sehr lückenhaft sei. Johnsons Angaben zum Ansteckungsgrad der Mutation seien ein Schätzwert.

Wegen der neuen Variante hat auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft für heute ein Notfalltreffen mit Vertretern anderer Mitgliedstaaten einberufen. Berlin rufe im Rahmen des Krisenreaktionsmechanismus der Staatengemeinschaft (IPCR) nationale Experten zusammen, wie ein Sprecher der deutschen Rats­prä­sidentschaft mitteilte. Auf der Tagesordnung stehe die Koordination der Europäischen Union in Bezug auf die neue Virusvariante.

Grundsätzlich soll der IPCR-Mechanismus in schweren und komplexen Krisen schnelle und koordinierte politische Entscheidungen ermöglichen, etwa im Fall von Terroranschlägen. Dabei kommen die EU-Insti­tutionen, die EU-Staaten und andere Betroffene zusammen. Der Mechanismus war im März durch die da­malige kroatische EU-Ratspräsidentschaft wegen der Ausbreitung des Coronavirus vollständig ausgelöst worden.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen und Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, hatten bereits gestern in einem Te­le­fonat die neue Coronalage in England erörtert. Nach Angaben aus Elysée-Kreisen habe im Mittelpunkt der Gespräche ein gemeinsames Vorgehen angesichts der dort aufgetretenen neuen Variante des Coronavirus gestanden. Macron hat noch gestern Abend einen Verteidigungsrat einberufen.

Die Welt­gesund­heits­organi­sation (WHO) steht mit Großbritannien wegen der Ausbreitung der neuen Va­riante in engem Kontakt. Die britischen Behörden wür­den weiter Informationen und Ergebnisse ihrer Analysen und Studien teilen. „Wir werden die Mitgliedstaaten und die Öffentlichkeit auf dem Laufenden halten, sobald wir mehr über die Merkmale dieer Virusvariante und deren Auswirkungen erfahren.“ Der­weil werde geraten, weiter alle Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine Ausbreitung des Virus zu ver­hindern.

Wegen der in Großbritannien entdeckten Variante des Coronavirus hat sich Europa zum Wochenbeginn zunehmend vom Vereinigten Königreich abgeschottet. Zum Schutz vor der Mutation dürfen in Deutsch­land seit heute bis zunächst 31. Dezember keine aus Großbritannien kommenden Flugzeuge mehr lan­den. Ausgenommen sind reine Frachtflüge. Weitere Beschränkungen sollen folgen. Auch zahlreiche an­dere europäische Länder hatten Flugverbote oder Grenzschließungen zum Vereinigten Königreich ver­kündet.

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Zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland und „zur Limitierung des Eintrages und der schnellen Ver­brei­tung der neuen Virusvarianten“ sei ein sofortiges, befristetes Verbot für Flüge aus dem Vereinigten Königreich und Nordirland geboten, erläuterte das Verkehrsministerium in der Verordnung. Wei­ter­gehen­de Beschränkungen sollen noch per Rechtsverordnung festgelegt werden, wie es hieß.

Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn erläuterte, heute sei geplant, mit einer Verordnung „den gesam­ten Reiseverkehr“ mit Großbritannien und Südafrika einzuschränken. Der CDU-Politiker sagte gestern im ARD-„Bericht aus Berlin“, man nehme die Meldungen aus Großbritannien sehr ernst. Das Land Nordrhein-Westfalen setzte für Großbritannien und das ebenfalls von der Virusvariante betroffene Südafrika die Quarantäne-Verordnung wieder in Kraft.

Bereits am Sonntagabend wurde die Einreise von Flugpassagieren aus Großbritannien an mehreren deutschen Flughäfen zunächst gestoppt. In Hannover betraf das am Abend etwa 63 Passagiere eines Flugs aus London. Die Passagiere wurden getestet. Ein Test war positiv. Um welche Virusvariante es sich handelt, war zunächst noch unklar. Auch in Stuttgart mussten sich Flugreisende aus London testen lassen.

Neben Deutschland hatten diverse Länder mit Flugstopps oder ähnlichem gehandelt, darunter die Nie­der­lande, Belgien oder Irland. Auch Österreich verfügte ein Landeverbot für Flüge aus Großbritannien. Zudem stellte die Schweiz Flugverbindungen nach Großbritannien und Südafrika ein.

Frankreich verhängte ein Einreiseverbot für Reisende aus Großbritannien auf dem Luft-, See- und Land­weg. Deshalb wurden der wichtige britische Hafen Dover am Ärmelkanal sowie der Eurotunnel um Mitter­nacht geschlossen. Auch Argentinien, Kolumbien, Chile, Kanada und der Golfstaat Kuwait stoppten Flüge aus Großbritannien.

© afp/dpa/aerzteblatt.de

Foto: Geschlossene Grenze in Dover. /picture alliance, PA Wire, Steve Parsons