Münster - Man kann ja sagen, was man will: Die alten Filme sind doch immer noch die besten“, blickt eine Figur aus „Alle Jahre wieder“ auf vermeintlich bessere Zeiten zurück. Der Film enthält vielerlei solch trivialer oder jovialer Kernsätze. Doch nicht nur sie machen ihn heute zum Kultfilm. Feine Details und subtile Zwischentöne des filmischen Stadtporträts über Münster bescherten Regisseur Ulrich Schamoni 1967 zwar keinen überbordenden kommerziellen Erfolg, dafür aber die Anerkennung vieler Kritiker und diverse Preise. Und: Alljährlich zur Weihnachtszeit – coronabedingt 2020 nicht – zeigt das münstersche Schloßtheater-Kino den Film in mehreren Vorstellungen.
Gut 53 Jahre nach Dreh des Films ist jetzt auf Initiative von Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing & Medien am Marketing Center Münster, ein dazu passendes Buch mit dem Titel „Alle Jahre wieder in Münster. Ein filmischer Stadtrundgang“ erschienen.
Doch zunächst zum Film: Eine Frau und ein Mann sitzen im Auto auf der Autobahn Richtung Norden. Was der Auftakt eines Roadmovies werden könnte und laut Kinovorschau damals ein junger, deutscher „Heimatfilm“ sein sollte, mündet schnell in ein stimmungsvolles Stadtporträt.
Die Handlung ist schnell skizziert: Hauptfigur Hannes Lücke lebt als Werbetexter in Frankfurt, so weit, so mondän. Zu Weihnachten kehrt er regelmäßig zurück nach Münster zu Frau und Kindern, von denen er wenig zeitgemäß getrennt lebt. Er quartiert sich und seine neue junge Freundin Inge in das Hotel Busche am Dom ein. Während Inge die Stadt erkundet, absolviert Hannes sein gewohntes Heimatprogramm, wahlweise mit Familie oder trinkfreudigen Kumpels, bevor es für beide zurück nach Frankfurt geht.
„Das Lebensgefühl des Films könnte sinnbildlich für viele deutsche Orte Mitte der 1960er Jahre sein: farblos, konformistisch, unauffällig. Die Nazizeit lag gerade einmal zwei Jahrzehnte zurück, die Fragen nach Schuld und Verantwortung wurden noch nicht gestellt, alles war Verdrängen“, erklärt Thorsten Hennig-Thurau.
Regisseur Ulrich Schamoni, in Berlin geboren, ist in Münster
aufgewachsen. Als junger Erwachsener führte sein Weg nach Berlin zum
Film – und für einen Dreh zurück nach Münster. Zu einer Milieustudie
wurde der Film dadurch, dass Schamoni ihn nicht an Filmsets gedreht hat,
sondern an Originalschauplätzen in Münster, die vielfach heute noch
bestehen wie etwa das Hotel Busche oder das „Alte Gasthaus Leve“.
Neben Profis kamen Münsteraner als Laienschauspieler zum Einsatz – Journalisten, Stadtführer und Kneipiers wie Karl Lutterberg, der im Film mit seinem Zwillingsbruder Heinz hinter dem Tresen steht. Zudem enthält der Film allerlei Bezüge zu Katholizismus und Konventionen – und auch Anspielungen auf das münstersche Wetter.
Das neue Buch wirkt wie eine doppelte Milieu-Studie: Kunstvolle Fotomontagen verbinden die Orte und Akteure der Filmbilder mit den Orten und Persönlichkeiten von heute, wie zum Beispiel die Schauspielerin Carola von Seckendorff oder den Musiker Steffi Stephan. Die Autoren bieten Hintergrundinformationen zum Film, beleuchten den Zeitgeist und beschreiben den gesellschaftlichen Wandel der Stadt.
Die Idee für das Buch entstand bei Thorsten Hennig-Thurau, dessen Medienforschung von einer großen Begeisterung für das Medium Film angetrieben wird, durch die Forschung zu seinem Buch „Entertainment Science“ und seine Beschäftigung mit der Psychologie von Schauplätzen. Was fasziniert Menschen an Drehorten, warum reisen Fans für den Besuch eines Film-Spots an das Ende der Welt? Welche identitätsstiftende Funktion haben Filme und ihre Schauplätze? Und: Welche Drehorte bietet eigentlich Münster?
Dabei entwickelte sich die Recherche zu einer besonderen Erkundung
der Stadt Münster und ihrer Geschichte buchstäblich durch den
Blickwinkel des Kameraobjektivs. Was macht den Schauplatz Münster von
heute im Vergleich zu 1967 aus?
„Die Stadt ist jetzt viel bunter. Schamonis Werk zeigt Münster als zutiefst bleierne Stadt mit reichlich Doppelmoral und archaischen Geschlechterrollen“, beschreibt Thorsten Hennig-Thurau. Insofern erscheint ihm seine Lieblingsfigur im Film gleichzeitig wie eine Lichtgestalt: Inge, Begleitung des Protagonisten Hannes, gespielt von Sabine Sinjen.
„Durch ihre klare und selbstbewusste Präsenz bildet sie einen starken Gegenpol zum zaudernden männlichen Partner. Damit wirkt sie wie eine Vorankündigung der 68er-Bewegung – zurückhaltend noch, aber man ahnt schon, was da kommen wird“, sagt der Filmliebhaber.
Die Schlussszene des Films zeigt Inge und Hannes auf der Rückfahrt nach Frankfurt. Hannes schwadroniert über ihre Beziehung und rezitiert einen alten Liebesbrief, Inge sitzt still auf dem Beifahrersitz. „Ich gehe mal davon aus, dass Inge ihm bald den Laufpass gibt und es zumindest für sie kein ‚Alle Jahre wieder‘ wird. In ihrem Lebensentwurf dürfte für einen wie Hannes kein Platz sein, da muss mehr kommen“, meint Thorsten Hennig-Thurau.
Eine Fortsetzung des Films gab es für Schamoni nicht, dafür gibt es jetzt ein Buch, ein neues Zeitzeugnis.
„Alle Jahre wieder in Münster. Ein filmischer Stadtrundgang“ von Thorsten Hennig-Thurau, Carsten Happe, Maris Hartmanis, Johannes Klein-Reesink und Carsten Vogel ist am 3. November im Aschendorff Verlag erschienen.
Quelle: WWU Münster (upm/vk). Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 16. Dezember 2020. Autorin: Verena König.
Foto: Alle Jahre wieder / Maris Hartmanis