Nimmt man ihn unter die Lupe und fragt zuvorderst, was den freien Willen bedingt, kommt man schnell zu dem Schluss, dass ohne Optionen keine Wahlmöglichkeit besteht, folglich muss man mindestens von Tee zum Frühstück wissen, um sich aktiv für Kaffee entscheiden zu können. Der freie Wille hängt folglich wesentlich davon ab, was man weiß und kennt. Es gibt also keinen freien Willen ohne Optionen, und je weniger Alternativen einem zu einer Handlung bekannt sind desto geringer ist der freie Wille.
Versucht man dieses Faktum nun, mit der Evolutionstheorie von Charles Darwin zu versöhnen, kann man sagen, dass wir als Naturwesen, als Tier immer auf der Suche nach evolutionären Vorteilen sind, die unser Überleben sichern. Laufen, weil schneller als krabbeln, essen statt hungern.
Wann beginnt der Wille überhaupt?
Wenn ein Baby Hunger spürt, ist es aber kein Hunger, den es spürt, sondern nur ein unbekanntes Magengrummeln. Weil es das nicht kennt, schreit es das hinaus, bis plötzlich etwas passiert. Und dieses passieren ist Füttern, ob Brust oder Flasche ist an dieser Stelle egal, das Gefühl im Bauch ist weg, der aktive Affekt „schreien“ war erfolgreich. Wir kommen zu dem Schluss: wenn der Magen komische Geräusche macht und/oder sich komisch anfühlt, hat man zwei Möglichkeiten: Nichts machen und es bleibt oder schreien und es verschwindet. Zwei Optionen wovon eine wertiger scheint als die andere. Ergo: Der Wille ist geboren, allerdings weit weniger frei, als man glaubt, denn die Entscheidung fällt nicht schwer, was wohl die bessere Idee ist.
Frei wird der Wille folglich erst dann, wenn man sich untypisch entscheidet, eine Frau verlässt, die man liebt, den Job schmeißt, obwohl man das Geld gebrauchen könnte oder raucht, obwohl man weiß, dass es schädlich ist. Es scheint, als wäre der freie Wille uns eher im Weg, denn meist liegt der Wille in Form eines natürlichen Instinktes vor, der uns meist zielorientiert schnell das richtige „wollen lässt“.
Der freie Wille scheint somit eng mit dem Verstand und weniger mit der Vernunft zu tun zu haben, denn wer sich untypisch entscheidet, geht meist einen unkonventionellen Weg, der auch zu einem Ziel führt, aber eben nicht über die gleichen Vehikel. Freier Wille ist beispielsweise das bewusste Opfern der Dame beim Schach, wenn die Situation ausweglos erscheint, um den Gegner zu verunsichern. Er soll denken, dass man eine Idee hat, die er nicht durchschaut, das ist der Trick, der sich hinter der Finte des scheinbaren Fehlers zu verstecken scheint.
Man kann
also sagen, je mehr man weiß, desto freier ist der Wille. Man kann nur mit
einer Finte locken, wenn man sie kennt und auch, wenn man weiß, dass es eine
Alternative Lösung zum Ziel „Schach matt“ führen kann. Man kann sich nicht für
etwas entscheiden, das man nicht kennt. Klar kann man sich für die Liebe
entscheiden, obwohl man ihr noch nicht begegnet ist, aber eben auch nur, wenn
einem davon berichtet wurde und das in den Worten, für die man empfänglich ist.
In diesen Momenten adaptiert man Wissen von anderen Umständen auf das
jeweilige. Heißt: Man weiß, dass es etwas gibt, das besser ist als anderes,
oder zumindest sein kann. Man sieht glückliche Paare und unglückliche Singles.
Man könnte sich folglich für das Glücklichsein- wollen entscheiden. Dass man es
aber wird, hängt signifikant davon ab, ob sich die Dame oder der Prinz des Herzens
auch in der relevanten Welt zeigt.
Wer kein Schneewittchen traf, kann sich nicht in sie verlieben, und wer sie traf kann sich auch dagegen entscheiden, weil man schwarze Haare nicht mag oder das Mädchen bei den sieben Zwerge zu mager ist, beispielsweise. Das kann für viele merkwürdig wirken, aber für einen selbst ganz logisch, also vom Verstand her nachvollziehbar. Der Wille an sich, also beispielsweise der, sich fortzupflanzen, könnte aber auch mit dem zu dünnen und zu dunkelhaarigen Prinzesschen von statten gehen.
Der freie Wille ist folglich der individuelle Weg zu überleben, jenseits des Mainstreams, was demnach obligatorisch einschließt, dass man mehr kennen muss, als die meisten. Nur dann, kann man sich wirklich entscheiden, und nur wenn man Objektivität und kritische Betrachtung gelernt hat, kann man diesen freien Willen auch konstruktiv nutzen, denn wer das nicht beherrscht, wird mit dem Mehr an Wissen nicht freier, sondern gelähmter. Er stagniert vor der Fülle an Optionen und verharrt im Nichtstun oder wieder das Einfachste machen, das, was alle machen. Der freie Wille entscheidet folglich, seinem Besitzer nicht zu trauen und torpediert sich somit selbst. Was die vielen Aluhelme beweisen. Sie wissen viel, zu viel, aber sind nicht in der Lage, unabhängig zu entscheiden. Sie versinken im Strudel der Masse, die schon weiß, was gut für die eigene Art ist.
Freier Wille ist folglich harte Arbeit. Er hat nichts mit der Freiheit zu tun, fliegen zu wollen, was physikalisch unmöglich ist, sondern aus der Mannigfaltigkeit der Facetten des Seins eine unkonventionelle zu wählen. Nur wer die Zange auch als harten Gegenstand erkennt, kann sie als Hammer zweckentfremden, für alle anderen heißt es, wenn diese vorhanden aber kein Hammer da ist: Heute wird man keinen Nagel in die Wand schlagen können.
Und genau
das lernen Kinder oft in Kitas und Schulen. Man bekommt Erfolgsrezepte
vorgebetet und nicht die Fähigkeit zum Fehler machen beigebracht.
Aber nur bei Fehlern gelangt die Konvention an ihre Grenzen und der freie Wille bekommt Optionen, die er vorher nicht hatte, ob in die fütternde Brust zu beißen oder mit der Zange den Nagel in die Wand zu schlagen, ist dabei beinahe das Gleiche. Wer weiß, vielleicht adaptiert man ja die Funktion der klassischen Zange mit Zähnen irgendwann auf die Fortpflanzung. Es soll ja Frauen und Männer geben, die auf sowas stehen. Ohne freien Willen – unmöglich.
Bild und Text: adolf.muenstermann@gmail.com