Es ist noch gar nicht lange her, da schlug ich die Filme vor, die wir gemeinsam sahen, zog sie in Museen, Theater und Bücherläden, um sie in Ihren werten zu bilden. Seit einiger Zeit hat sich das Blatt gewandelt. Jetzt sagt sie „maze runner“ und ich willige ein, überrascht mich mit „death to 2020“, dem Jahresrücklick von Netflix als Mocumentary, also eine inszenierte Documentation mit Plot über das vergangene Jahr und wenn wir essen gehen, fragt sie nach Gemüse, ohne dass ich ihr einen Vortrag halten muss, warum das klug ist.
Meine Tochter ist jetzt 15 und krempelt grad mein ganzes Leben um. Ich fühle mich lebendig wie nie. Aber erst seit ich mich auf den Trip ins Ungewisse eingelassen habe, befreit von allen Vorurteilen ihrem Qualitätsurteil folglich eine echte Chance gab, weiß ich, wie alt ich geworden bin.
Mein Leben und ihres spielten sich schon lange nicht mehr im gleichen Universum ab. Ihre Welt ist schneller, zynischer, arroganter und auch reflektierter, als meine es je gewesen ist. Die fiktiven Prognosen der Filme, auf die Eltern abends keine Lust mehr haben, sind düster, aber nie hoffnungslos und beinahe noch schlimmer: Sie strafen mich in so vielerlei Hinsicht Lügen. Während ich mich oft dabei erwische, an medial kultivierten Klischees wie Genderproblemen zu verharren, liegen die Probleme von morgen in den alten Köpfen von heute.
In „death to 2020“ sind beinahe alle alt. Die Schlechten und die weniger Schlechten. Gute Alte gibt es nicht. Alle über 35 sind verbohrt und knochig in ihren Gedanken. Die Etablierten scheinen mit einer Pumpenzange auf Hightechprobleme loszugehen. Und was macht die Jugend? Sie verdient sich an der Krise eine goldene Nase, nicht moralisch einwandfrei, aber immerhin ein konstruktiver Versuch, das Problem Corona, US Präsidentschaftswahlkampf, Brexit und Black live matter zu handlen.
Wir sind der Jugend zu langsam um sich mit uns auseinander zu setzen. Wir verstehen nicht mehr was sie bewegt, wie man mit ihnen spricht und warum sie wie denken. Und warum? Weil wir wie unsere Eltern an alten Zöpfen festhalten. Die Wahl in den USA wurde schon vor dem 3. November als „most boring gameshow ever“ entlarvt und Trump ist nicht mehr als ein erbärmlicher Hund, der samt seiner gesamten Entourage nicht ins Politische Abseits gehört, sondern als Sondermüll in der Ferne ausglühen soll. Man will ihn nicht ans Kreuz nageln, man will ihn einfach endlich vergessen können.
Die Zeit schreitet voran. Trump hält da nur auf. Und Biden? Der hat schon alles falsch gemacht indem er proklamiert, dass Gemeinsame aller herbeizuführen. Dabei sei das der völlig falsche Ansatz. Es geht nicht um das Gemeinsame, es geht nur um: „wie miteinander?“ ohne die Identität zu verlieren.
Und während Mama und Papa Tatort schauen, giert die Jugend nach dem“ Haus des Geldes“ oder „Alienacion“ oder „Black mirrow“, wobei letzteres schon wieder so 2018 ist.
Wann wachen wir endlich auf und genießen das neue Selbstbewusstsein, was völlig emanzipiert von alten Ansichten eine Parallelexistenz etabliert hat.
Der Sloterdijk von Morgen heißt Ursula Potznatzki und kommt aus Wien. Ihr Onkel Alfred mit Steuerschulden spielt mit neurologischen Problemen wie dem (hypo-)Thalamus.
Das Fortbewegungsmittel ist -by the way- das Rad. Nicht weil es ökologischer ist, sondern weil sie da nicht von Oldschooldenkern wie mir genervt wird.
Der junge Erwachsene besäuft sich nicht mehr, wenn er frustriert ist, sondern zockt gegen Freunde aus aller Welt oder joggt um den Aaasee. Nicht um 10 Uhr morgens, wo einen jeder sieht, sondern morgens um 6, weil es dann so schön still ist. Die Jugend von heute will uns nichts mehr beweisen. Sie kann es gar nicht, weil da wo sie spielen, wir noch gar nicht angekommen sind. Und wenn wir nicht aufpassen und langsam losrennen, reicht der Abstand nicht einmal mehr dafür, uns zuzurufen, was sie gerade tangiert.
Ich habe oft geschrieben, dass ich heute nicht mehr jung sein möchte. Ich bin mir da nicht mehr so sicher. Die Welt von morgen ist sehr spannend, aber mit einem Röhrenfernseher kann man da nicht mehr viel erkennen.
Bild: Pixabay
Text: adolf.muenstermann@gmail.com
(P:S Alle Beispiele sind nur Beispiele, keine definitive Referenz für einzelne)