Zum Wahlkampfauftakt in Großbritannien hat der konservative Premierminister Boris Johnson seinen Herausforderer Jeremy Corbyn mit dem sowjetischen Diktator Josef Stalin verglichen. Die Labour-Partei habe unter Corbyn einen regelrechten "Hass" auf jede Art von Profitstreben entwickelt, schrieb Johnson am Mittwoch im "Daily Telegraph". Dabei werde mit dem Finger auf Individuen gezeigt - "mit einem Vergnügen und einer Rachsucht, wie es nicht mehr gesehen wurde, seit Stalin die Kulaken verfolgte".
Johnson bediente sich damit der verächtlich machenden Bezeichnung für wohlhabende Bauern in der Stalin-Zeit. Tausende dieser Bauern waren unter Stalins Terrorherrschaft getötet worden.
In Großbritannien war am Mittwoch der offizielle Startschuss für den Wahlkampf gefallen, das neue Parlament soll am 12. Dezember gewählt werden. Johnson traf am Mittwochvormittag im Buckingham-Palast Königin Elizabeth II., um die Auflösung des britischen Parlaments zu besiegeln. Anschließend kündigte er in einer Erklärung am Regierungssitz Downing Street an, "ab dem ersten Tag des neuen Parlaments im Dezember" sein Brexit-Abkommen vorzulegen, damit der Ausstieg Großbritanniens aus der EU im Januar wirksam werde. Die Alternative sei, das Jahr 2020 in einer "Horrorshow aus noch mehr Zaudern und Aufschub" zu verbringen.
In seinem Beitrag für den "Daily Telegraph" griff Johnson auch gleich die Opposition scharf an. Er nahm für sich in Anspruch, "zehntausende große und kleine Unternehmen" in Großbritannien unterstützen zu wollen. Dagegen wolle Labour "alle mit Steuern erdrücken". Die Oppositionspartei stehe für eine "tiefsitzende Verachtung des Profitstrebens". Dies drohe "die Grundlage des Reichtums dieses Landes zu zerstören".
Oppositionsführer Corbyn wies Johnsons Anwürfe im Kurzbotschaftendienst Twitter zurück. Die Meinungsäußerungen des Premierministers stünden für den "Unsinn", der von Ultrareichen vorgebracht werde, um "ein wenig höhere Steuern" zu vermeiden, schrieb der Labour-Chef. Seine Partei wolle innerhalb von zehn Jahren eine Million erschwinglicher Wohnungen errichten und einen "Kickstart" für eine "grüne industrielle Revolution" bewerkstelligen.
Auf einer Wahlkampfveranstaltung im Nordwesten Englands bezeichnete er sich später als "Champion" der Menschen, "die nicht viel Geld haben oder Freunde in hohen Ämtern". Er werde ein "sehr anderer Premierminister" sein, der Menschen nicht persönlich angreife, stellte Corbyn in Aussicht.
Die Labour-Partei will unter Corbyn die Verstaatlichung zahlreicher Betriebe, eine Erhöhung des Mindestlohns und die Verringerung der Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden erreichen. Dafür sind Steuererhöhungen für Reiche geplant.
Der Wahlkampfauftakt wurde am Mittwoch auf konservativer Seite gleich von zwei Vorfällen überschattet. Alun Cairns trat von seinem Amt als Minister von Wales zurück, nachdem ihm vorgeworfen worden war, über die Rolle eines ehemaligen Mitarbeiters in einem Vergewaltigungsprozess Bescheid gewusst zu haben.
Zudem musste sich der Johnson-Vertraute Jacob Rees-Mogg öffentlich für ein viel kritisiertes Statement entschuldigen. Rees-Mogg hatte gesagt, einige der 72 Opfer der Brandkatastrophe im Londoner Grenfell Tower im Jahr 2017 hätten überleben können, wenn sie ihrem "gesunden Menschenverstand" gefolgt und aus dem brennenden Hochhaus geflohen wären. Die Feuerwehr hatte die Bewohner des Hochhauses damals jedoch angewiesen, in ihren Wohnungen auf Rettung zu warten.
Die Neuwahlen in Großbritannien sind für den 12. Dezember geplant. In den Umfragen hatten Johnsons konservative Tories zuletzt einen beträchtlichen Vorsprung vor der Labour-Partei von Corbyn. Johnson hofft auf eine klare Mehrheit nach den Neuwahlen, um das von ihm mit der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen durch das Parlament zu bekommen.
Eigentlich hatte der Premierminister das Austrittsdatum 31. Oktober um jeden Preis einhalten wollen - nach eigener Aussage wollte er lieber "tot im Graben liegen", als den Brexit zum dritten Mal zu verschieben. Er musste dann aber eine Verlängerung der Frist bis zum 31. Januar beantragen, weil das Parlament dem Abkommen nicht im Eiltempo zustimmen wollte.
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Florence BIEDERMANN / © Agence France-Presse