Soeben erhielt ich eine Mail von meiner Therapeutin. Natürlich erst pünktlich nach den Weihnachtsferien. Warum auch früher, schließlich hat man sich auch als Psychotante – oder Onkel - seine Auszeiten verdient. Aber ist der Verantwortung eines Therapeuten mit Beendigung der Sitzung genüge getan worden?
Mein letztes Treffen war beispielsweise ein besonderes, weshalb ich, kurz vor Weihnachten noch eine Mail verfasste, in der ich mich auf verschiedene Punkte dieser Sitzung bezog. Ich hätte mich sehr über eine Resonanz gefreut, aber eine Antwort blieb leider aus.
Drei Wochen später kam sie dann und ich war überrascht, mit welchem Inhalt sie gefüllt war, denn das was darin verwundert zur Kenntnis genommen wurde, war eigentlich kalter Kaffee; zumindest, wenn man mir ernsthaft zugehört hätte, aber dafür wird man ja nicht bezahlt.
Sei es drum, ich hab es überlebt und sie auch. Aber man stelle sich vor, es wäre wirklich etwas gewesen, wie hätte dann die Ausrede ausgesehen? „Ich war grad mit den Kindern am Kekse backen?“, „Mein Mann hat mich parallel auf dem Schreibtisch verführt?“
Alles gute Gründe, allein fraglich bleibt, ob sie dem Rechtfertigenden auch genügt hätten, denn wenn sich der Patient beispielsweise das Leben genommen hätte und der Therapeut im Anschluss die 16 Anrufe auf dem Handy erblick hätte, wäre es zu spät gewesen. Denn ab jetzt ist man für den Tod eines Menschen mitverantwortlich. Ob man sich das zu Beginn des Studiums wohl überlegt hat, dass das eintreffen könnte? Und wenn ja, wie fiel da das Urteil aus? Pragmatisch: „Das kann passieren?“ Oder „Oh, Gott, damit werde ich nie klarkommen?“
Ist ersteres der Fall gewesen, wird jeder Prof sagen: „Perfekt!“ ist letzteres der Fall, würde sich jeder Patient freuen, denn er oder sie würde sich wirklich angenommen und nicht als ein Produkt zum Broterwerb fühlen. Also wie man es macht, zumindest als Therapeut, man macht es falsch.
Warum also Therapie? Weil es ein konstruktiver Wirtschaftszweig mit wachsenden Erträgen darstellt? Haben wir das aus dem eigentlich sehr positiven Impuls der obligatorischen Therapie als amerikanische Idee gezogen hat? Nur ein weiterer monetärer Motor?
Verstehen sie mich nicht falsch, meine Therapeutin ist eine wirklich nette Frau die mir nicht mit Bullshitbingo und Pillenlotto auf den Sack geht und meist viel Verständnis für mein spezielles sein aufbrachte, aber all das verlor sich ein wenig im Pragmatismus der eingehaltenen Regel Weihnachtsferien. So sehr sie es auch verdient hat, sich auszuruhen und so sehr es auch ihre Kinder verdient haben, dass ihre Mutter für sie da ist, so unüberbrückbar scheint jedoch die Friktion der Harmonie von Pflicht und Realität. Ein Chirurg sagt ja auch nicht „heute ist Sonntag, die Lunge mach ich morgen“, oder „ nicht der erste, der an einem Herzinfarkt gestorben ist. Ich hab heute frei“; auch wenn sie diese Regenerationszeit mehr als verdient hätten.
Der Wandel im Gesundheitssystem muss anders von statten gehen. Auch bei therapeutischer Behandlung muss eine 24/7 Versorgung möglich sein, auch wenn die Behandlung nicht stationär ist. Da hilft auch kein Krisentelefon weiter. Meine Therapeutin oder mein Therapeut ist der bzw. die einzige, die weiß, wer sie vertreten könnte, weil man mich kennt und keine Hartz vier Flitzpiepe, die in eine Arbeitsmaßnahme gesteckt wurde.
Natürlich werde ich auch weiterhin ihre Hilfe in Anspruch nehmen (was sie möglicherweise nach diesem Artikel nicht mehr anbieten wird) und hoffe, dass zukünftig immer mehr Menschen auf diesen Freund vertrauen, der einem nicht vorwirft, ständig nur von sich zu sprechen. Aber dieses ungute Gefühl, mich mit Problemen an Öffnungszeiten halten zu müssen, wird von nun an, immer mitschwingen.
Bild: Ryan McGuire, PixabayText: adolf.muenstermann@gmail.com