Zehntausende Menschen folgten dem Protestaufruf Nawalnys, protestierten gegen Präsident Wladimir Putin und forderten die Freilassung Nawalnys, dessen Ehefrau Julia vorübergehend in Gewahrsam genommen wurde. In Moskau und anderen Großstädten ging die Bereitschaftspolizei gewaltsam gegen die Demonstranten vor.
Die größten Kundgebungen fanden nach Schätzungen von AFP-Journalisten in Moskau und St. Petersburg mit jeweils rund 20.000 Teilnehmern statt. Die Polizei in Moskau sprach von 4000 Demonstranten, demnach wurden rund 40 Polizisten leicht verletzt.
Auch in rund hundert anderen Städten gingen Unterstützer Nawalnys auf die Straße. Größere Demonstrationen und gewaltsame Festnahmen gab es auch in Wladiwostok und Chabarowsk im Fernen Osten. In Sibirien trotzten Demonstranten extrem winterlichen Temperaturen von minus 50 Grad.
Derart weitreichende Demonstrationen sind in der jüngeren Geschichte Russlands selten. Größere Proteste der Opposition beschränkten sich 2012 und 2019 vor allem auf Moskau. Im Herbst sind in Russland Parlamentswahlen geplant, die Kreml-Partei Geeintes Russland hat massiv an Unterstützung verloren.
Nawalnys Team verbreitete den ganzen Tag über Videos von Kundgebungen, die in den verschiedensten Landesteilen stattfanden. Kundgebungsteilnehmer riefen "Putin - Dieb!", "Nawalny - wir sind bei dir!" und "Freiheit für die politischen Gefangenen!"
Leonid Wolkow, ein Mitarbeiter Nawalnys, erklärte im Youtube-Kanal Nawalny Live, landesweit seien "250.000 bis 300.000 Menschen" auf die Straße gegangen. Er kündigte für das kommende Wochenende neue Proteste an.
"Putin und die Oligarchen haben Angst, ihre Pfründe zu verlieren", sagte die 71-jährige Rentnerin Vera Spiwakowa in Moskau. Dort gingen Polizisten am Nachmittag wiederholt mit Schlagstöcken gegen Demonstranten vor, die Schneebälle, aber auch andere Gegenstände warfen.
Am frühen Abend zogen hunderte Anhänger Nawalny zum berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis Matrosskaja Tischina, in dem Nawalny festgehalten wird. In Sprechchören riefen sie "Freiheit!", wie ein AFP-Reporter berichtete. Einige Demonstranten wurden festgenommen, mit Schlagstöcken traktiert und vertrieben.
Die Nichtregierungsorganisation OWD Info teilte am Abend mit, in der Hauptstadt Moskau hätten Sicherheitskräfte mindestens 952 Menschen festgenommen, im ganzen Land seien 2509 Festnahmen gezählt worden. Nawalnys Frau Julia Nawalnaja kam mehrere Stunden nach ihrer Festnahme in Moskau wieder frei.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilte auf Twitter die massenhaften Festnahmen sowie "den unangemessenen Einsatz von Gewalt". Er kündigte an, die EU-Außenminister würden am Montag die nächsten Schritte diskutieren.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) kritisierte, viele "friedliche" und junge Demonstranten seien willkürlich geschlagen und festgenommen worden.
Die russische Regierung warf US-Diplomaten vor, sich in die Massenproteste aktiv eingeschaltet zu haben. Die US-Botschaft in Moskau habe Marschrouten veröffentlicht, die von den Anhängern Nawalnys genutzt werden konnten, schrieb die Außenamtssprecherin Maria Sacharowa auf Facebook. US-Diplomaten hätten auch Informationen über einen "Marsch auf den Kreml" verbreitet.
Nawalny hatte zu den Protesten gegen Putin aufgerufen, nachdem er am Sonntag vergangener Woche unmittelbar nach seiner Rückkehr von Deutschland nach Russland festgenommen worden war. In Berlin war der 44-Jährige nach einem Giftanschlag im August behandelt worden. Am Montag verhängte ein russisches Gericht in einem Eilverfahren 30 Tage Haft gegen ihn wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen. Nawalny macht für den Mordanschlag den Kreml verantwortlich.
Nawalny und seine Anhänger werfen dem Kreml unter anderem Korruption vor. Diese Woche hatte Nawalnys Team eine Recherche über einen Luxus-Palast veröffentlicht, der angeblich Putin gehören und durch Bestechungsgelder finanziert worden sein soll. Das Video wurde seit Dienstag mehr als 70 Millionen Mal auf Youtube angesehen. Der Kreml hat die in dem Video erhobenen Vorwürfe bestritten.
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Nikolay Korzhov und Andrei Borodouline / © Agence France-Presse