Zum Inhalt springen
OZD.news - News und Nachrichten zum Nachschlagen

Kolumne: Ficken mit „V“?

Nun ist es schon einige Zeit her, dass ich die Einen begeisterte und Andere mit meinen Texten hier zum Erbrechen brachte. Das hat teilweise mit der Orthographie, manchmal mit Ausdruck sowie Grammatik und hin und wieder auch mit dem Inhalt zu tun. Zeit, Stellung zu nehmen:

Zugegeben, in Sachen Korrekturlesen, sind meist  schon Schüler der zweiten Klasse routinierter in dieser Optimierungsfacette eigener schriftlicher Werke als ich es bin. Der Grund dafür ist vielschichtig. Zum einen, fehlt mir schlicht und ergreifend die Geduld. Wie man bemerken konnte, sind die Texte meist sehr emotional konnotiert. Nichts deutet auf die professionelle Objektivität, die man von anderen professionellen Texten gewohnt ist.

Das ist natürlich die Chance und die Gefahr meiner Texte, entweder man lässt sich auf sie ein oder eben nicht. Wenn man sich nicht auf die Reise von Gedanken, die nicht die eigenen sind, machen möchte, braucht man bei mir gar nicht anzufangen. Schon Edgar Allan Poe war ein Meister darin; was nicht heißt, dass dieses Beispiel an dieser Stelle gerechtfertigt angeführt werden darf.

Warum sind aber die Texte zu untypisch, unkorrekt und stümperhaft dargestellt, obwohl der Autor Germanistikstudent ist und ihm auch sonst die notwendigen Korrekturmechanismen nicht nur bekannt, sondern auch als Bedingung für Rezipienten eingetrichtert sind?

Nun, erstens, ist jede Regel eben eine Regel, die durch Ausnahmen bestätigt wird und kein Gesetz. Zweitens gibt es bei Rechtschreibung keinerlei Gesetze sondern immer nur Konventionen, und diese sind in sich schon mannigfaltig, oft nicht deckungskompatibel und darüber hinaus nicht selten willkürlich. Oder können Sie einen finiten Grund dafür anführen, warum es in einer der bekanntesten Grammatikregeln (der Valenztheorie) heißt, dass jeder Satz nur ein Verb bedingt, während Einwortsätze wie „JA.!, „Hallo!“ oder „Scheiße!“ erlaubt sind?

Es kommt immer auf die Frage an, die man beantwortet haben möchte.

Der Sinn und Zweck von Grammatik, Ausdruck und Orthographie soll dem Leser das „Konsumieren“ des Textes erleichtern. Es soll also primär darum gehen, schnell mit dem Text fertig zu werden, nicht ihn, „buddhistisch gesprochen“ -als einzigen Sinn des Momentes zu betrachten.

Und genau da liegt der eigentliche Hauptgrund meiner Schlampigkeit. Mir geht es nicht darum, dass Sie, verehrter Leser, meine Texte wie einen Burger „möglichst schnell verdrücken können“ sondern dass Sie inne halten. Im Alltagsscheiß mal fünf Minuten das Weite suchen. Neue Impulse sammeln, Lachen (aus dem ein oder anderen Grund), über dies oder jenes nachdenken, oder auch mal die intelligiblen (im Geist verbleibende Gedanken) Tränen einfach laufen lassen.

Ein oder hundert Fehler in meinen Texten haben dabei das seltene Potential, Sie zum wiederholten Lesen einer Stelle zu motivieren, sie zum Anlass zu nehmen, die, in meinem Unterbewusstsein vielleicht bewusst klein geschriebenen Substantive und groß markierten Adjektive, als Lesehilfe dergestalt zu betrachten, dass die ungewöhnliche Darstellung semantische Sinnigkeit zum Ausdruck bringt INDEM sie GEGEN Regeln verstößt und sie eben NICHT bedient.

Das ist anstrengend, manchmal überflüssig, aber nie, nie, nie generisch. Wenn man sich den Texten dieser Kolumne widmet, will man nicht Bild, Süddeutsche, TAZ oder sonst eine digitale Gazette, die einem schlussendlich auch nur den obligatorischen Scheiß darbietet, sondern eine individuelle Sicht auf das „Jetzt“, ganz nach dem Motto: Kann man so sehen, aber muss man natürlich nicht.

Diese Texte sollen nicht gefallen, sie sollen berühren. Sonst nichts. All meine Mühen  wären berechtigt, wenn das Dargebotene Anlass zum Innehalten und manchmal zum Nachdenken im syntaktischen Sinne brächte, also nach dem Lesen gedanklich nicht sofort zum nächsten Textfragment zu „greifen“ sondern kurz die gewonnenen Einblicke mit der eigenen Sicht auf die Welt abgleicht, das reicht.

Wenn das zu „bleibt scheiße“ führt, ok, wenn nicht, für Sie und mich besser. Nicht weil Sie danach die Unschärferelation von Heisenberg begriffen haben, sondern weil es die Anzahl Ihrer gedanklichen Facetten bereichert hat.

Das alles sollte mich natürlich nicht daran hindern, etwas besser auf Flüchtigkeitsfehler zu achten, da haben Sie Recht, aber ist es nicht auch wahnsinnig oberflächlig, die semantische Qualität eines Textes auf Grammatik oder ähnliches zu reduzieren?

Die Aufgabe von Texten ist, die unmögliche, direkte Kommunikation zu ersetzen; aus welchem Grund auch immer dieses der Fall ist. Und in der (gesprochenen) Sprache agieren wir seit jeher völlig anders als in der geschriebenen. Da setzen auch die größten Wichtigtuer mit philologischem Ehrengrad im Nebensatz das Prädikat an die zweite Stelle, galoppieren mit semantischen Sprüngen von Ast zu Ast, ohne Rücksicht darauf, dass es konnotativ für andere immer sinnhaft sein müsste und ja verdammt, es gibt bzw. gab auch Philologen (Sprachwissenschaftler) die (einst) Vater mit „F“ und „ficken“ mit „v“ geschrieben haben. Dem sogenannten „Vogel-V“.

So gesehen, schon wieder ganz plausibel und darüber, zumindest für mich schon beinahe deshalb die amüsantere Schreibweise, weil es die Phantasie beflügelt und nicht die Doktrin bestätigt.

Anyway, ich danke jedem Leser, dass er oder sie meinen Texten kleine oder auch manchmal größere Fehler verzeiht, in welcher Gestalt sie auch immer präsentiert werden. Und wenn es Ihnen wirklich mal zu viel wird, schreiben Sie mich ruhig an, von mir bekommen Sie bestimmt keine korrigierende Moralpredigt zur Antwort, sondern in erster Linie Respekt dafür, dass Ihnen – wie vielen anderen- eben nicht alles scheißegal ist.

Was man heute oft weniger erwarten darf, als richtige Orthographie.  


Text: adolf.muenstermann@gmail.com


Bild: Pixabay