Paul J. Crutzen ist am 28. Januar 2021 im Alter von 87 Jahren nach
langer Krankheit verstorben. Der gebürtige Niederländer leitete von 1980
bis 2000 als Direktor die Abteilung Atmosphärenchemie am
Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz.
„Paul J. Crutzen war in vielfacher Hinsicht ein Pionier“, sagt Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. „Er hat als Erster gezeigt, wie menschliche Aktivitäten die Ozonschicht schädigen. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten zur Erdatmosphäre erhielt er deshalb mit Mario J. Molina und F. Sherwood Rowland 1995 den Nobelpreis in Chemie. Dieses Wissen über die Ursachen des Ozonabbaus waren die Grundlage für das weltweite Verbot von ozonabbauenden Substanzen – ein bislang einmaliges Beispiel, wie nobelpreisgekrönte Grundlagenforschung unmittelbar in eine weltpolitische Entscheidung münden kann.“
Im Fokus von Crutzens wissenschaftlicher Arbeit stand der Einfluss
des Menschen auf die Atmosphäre, das Klima und das Erdsystem. Neben der
Erforschung der Chemie der Atmosphäre und des Ozonlochs beschäftigte er
sich in den frühen 1980er-Jahren mit den möglichen Auswirkungen eines
globalen Atomkriegs.
Gemeinsam mit John Birks beschrieb er, wie sich nach einem solchen Atomkrieg die Lebensverhältnisse auf der Nordhalbkugel durch eine Verdunklung der Erdatmosphäre drastisch verschlechtern würden und es dadurch zu einem nuklearen Winter kommen würde.
„Pauls Tod erschüttert uns zutiefst. Seine grenzenlose wissenschaftliche Neugier und seine charismatische Persönlichkeit haben nicht nur mich und unser Institut, sondern viele Generationen von Wissenschaftlern geprägt,“ sagt der geschäftsführende Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie, Jos Lelieveld. „Auch nach seiner Emeritierung blieb er viele weitere Jahre bis ins hohe Alter wissenschaftlich aktiv. Wir verlieren einen engen Freund. Er wird uns sehr fehlen und unsere Gedanken sind bei seiner Frau und seiner Familie.“
Eine Chance für eine ökologische Neuorientierung
Paul Crutzen prägte zudem den Begriff Anthropozän: Er schlug den Begriff vor, um das aktuelle Zeitalter zu beschreiben, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren der atmosphärischen, biologischen und geologischen Prozesse auf der Erde geworden ist und die Entwicklung des Planeten prägt. Paul Crutzen selbst sagte über die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die auf seinen Vorschlag zum Begriff des Anthropozäns folgten: „Ich sehe die Debatte als eine Chance, zu der ökologischen Neuorientierung zu kommen, die dringend erforderlich ist.“
„Paul war und bleibt eine einzigartige Inspirationsquelle und ein großartiger wissenschaftlicher Mentor“, sagt Ulrich Pöschl, stellvertretender geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie.
Vordenker und Mahner in Zeiten des Klimawandels
Mit Paul Crutzen verliert die Wissenschaft einen ihrer brillantesten
Köpfe, einen großen Vordenker und Mahner in Zeiten, in denen das
Eingreifen des Menschen in die Umwelt immer sicht- und spürbarer wird.
In den letzten Jahren war er zunehmend darüber besorgt, ob die
Menschheit die Ernsthaftigkeit des Klimawandels früh genug realisieren
werde. Auch deshalb war Crutzen ein überzeugter Vermittler zwischen
Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.
„Paul J. Crutzen war ein Vorreiter der Wissenschaften, die den Einfluss der menschlichen Zivilisation auf die Umwelt in den Blick nehmen, sei es durch seine Erkenntnisse über die Zerstörung des Ozonlochs oder sei es durch seine späteren wissenschaftlichen Arbeiten zum menschengemachten Klimawandel“, sagt Martin Stratmann. „Ich habe ihn darüber hinaus persönlich nicht nur als brillanten Wissenschaftler, sondern auch als offenen, geduldigen und liebenswerten Menschen kennenlernen dürfen. Mich und die gesamte Max-Planck-Gesellschaft trifft dieser Verlust schwer – mit Paul J. Crutzen geht der Wissenschaft ein echtes Vorbild verloren.“
Bereits 2004 mahnte Paul Crutzen gemeinsam mit seinem Kollegen Ram Ramanathan an, dass „drastische Maßnahmen auf internationaler Ebene erforderlich sind, um insbesondere die CO2-Emissionen durch Energieeinsparungen, alternative Energiequellen und Abscheidung zu reduzieren.“
Geo-Engineering als letztes Mittel gegen den Klimawandel?
Aus der Sorge um den menschengemachten Klimawandel stellte Crutzen im Jahr 2006 in einer Publikation die Frage, ob Geo-Engineering – also die bewusste Manipulation des globalen Klimas mit wissenschaftlich-technischen Methoden – eine letzte Möglichkeit sei, der Erderwärmung entgegenzuwirken. Diese theoretischen Überlegungen zur Injektion von Sulfatpartikeln in die obere Atmosphäre lösten in der Wissenschaft und in der Politik intensive Diskussionen aus. Es ging Crutzen darum, die Forschung auf dem Gebiet zu stärken, damit die Welt im Klimawandel Notfall-Optionen zum Handeln hat.
In zahlreichen öffentlichen Vorträgen thematisierte Crutzen, wie stark der Mensch die natürlichen Ressourcen der Erde ausschöpft. Er endete stets mit einem Bild von sich und seinem Enkel verbunden mit dem Appell an die Zuhörer, die Erde auch für nachfolgende Generationen zu erhalten.
Lebenslinien
Paul J. Crutzens Karriere startete nicht in der Atmosphärenforschung. Er wurde zunächst Tiefbauingenieur und arbeitete anschließend als Computerprogrammierer an der Universität Stockholm im Fachbereich Meteorologie. Begeistert von dieser Wissenschaft begann er parallel zu seiner Arbeit zu studieren und promovierte 1968 im Fach Meteorologie mit Auszeichnung. Paul J. Crutzen und sein langjähriger Kollege und Freund Henning Rodhe studierten beide bei Bert Bolin, der später an der Errichtung des Klimarates der Vereinten Nationen (IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change) beteiligt war.
Es folgten Lehr- und Forschungsaufträge unter anderem an der Universität Oxford, am National Center for Atmospheric Research (NCAR) in Boulder, Colorado, an der Colorado State University, an der University of Chicago und an der University of California. 1980 übernahm Crutzen die Leitung der Abteilung Atmosphärenchemie des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz.
Paul Crutzen veröffentlichte mehr als 360 wissenschaftliche Artikel mit Fachbegutachtung ("peer review"), 135 weitere wissenschaftliche Publikationen in Fachzeitschriften und 15 Bücher. Er war einer der weltweit meistzitierten Wissenschaftler, wurde vielfach geehrt und mit Preisen ausgezeichnet. Er war Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Akademien wie der päpstlichen Akademie der Wissenschaften und Ehrenmitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Paul Crutzen hinterlässt seine Frau Terttu, seine Töchter Ilona und Sylvia und drei Enkel.
Quelle: Max Planck Gesellschaft
Foto: Imago