In seiner am Donnerstag veröffentlichten Ad-hoc-Empfehlung widmet sich der Deutsche Ethikrat der Frage, ob eine Impfung gegen Covid-19 zu besonderen Regeln für geimpfte Personen führen darf oder sogar muss. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt verbietet sich die individuelle Rücknahme staatlicher Freiheitsbeschränkungen nach Ansicht des Ethikrates schon deshalb, weil die Möglichkeit einer Weiterverbreitung des Virus durch Geimpfte nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann.
Spätestens seit dem Start des
Impfprogramms wird kontrovers diskutiert, ob die zum Zweck des
Infektionsschutzes verfügten staatlichen Freiheitsbeschränkungen für
Personen, die gegen Covid-19 geimpft sind, aufgehoben werden sollten.
Bezüglich tiefgreifender Einschränkungen des sozialen, wirtschaftlichen
und kulturellen Lebens hält der Deutsche Ethikrat fest, dass diese
ohnehin nur solange gerechtfertigt sind, wie die Versorgung schwer
erkrankter Covid-19-Patienten das Gesundheitssystem akut zu überlasten
droht.
In dem Maße, in dem dieses Risiko erfolgreich gesenkt werden
kann, müssen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung, die gravierende
Grundrechtseingriffe beinhalten, für alle zurückgenommen werden. Eine
vorherige individuelle Rücknahme von Freiheitsbeschränkungen nur für
geimpfte Personen ließe sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn
hinreichend gesichert wäre, dass sie das Virus nicht mehr
weiterverbreiten können.
Dabei wären allerdings auch Fragen der Gerechtigkeit sowie der Folgen für die Akzeptanz der Impfstrategie zu berücksichtigen. Das Befolgen vergleichsweise weniger eingriffsintensiver Maßnahmen wie Abstandsregeln und Maskenpflicht kann man auch Geimpften in jedem Fall weiterhin zumuten.
Bei der Frage, inwieweit es privaten Anbietern verwehrt sein sollte bzw. verwehrt werden kann, den Zugang zu von ihnen angebotenen Waren und Dienstleistungen auf geimpfte Personen zu beschränken, ist die Vertragsfreiheit zu berücksichtigen. Sie stellt es Privatpersonen und privaten Unternehmen grundsätzlich frei zu entscheiden, mit wem diese einen Vertrag schließen. Einschränkungen dieser Freiheit können gerechtfertigt sein bei Angeboten, die für eine prinzipiell gleichberechtigte, basale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unerlässlich sind.
Besondere Verpflichtungen zu berufsbezogenen oder gemeinwohlorientierten Tätigkeiten sollten geimpften Personen nach Ansicht des Deutschen Ethikrates weder von staatlicher Seite noch von Arbeit- oder Dienstgebern auferlegt werden, um keine Gegenanreize zur Impfung zu setzen.
Die insgesamt kritische Beurteilung
möglicher besonderer Regeln für auf freiwilliger Basis geimpfte Personen
gilt wohlgemerkt nicht für die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflege-,
Senioren-, Behinderten- und Hospizeinrichtungen. Die in solchen
Einrichtungen geltenden Ausgangsverbote bzw. -einschränkungen und
Beschränkungen von Besuchs- und Kontaktmöglichkeiten sollten für die
dort Lebenden aufgehoben werden, sobald sie geimpft wurden. Angesichts
der erheblichen Belastungen, welche diese Personengruppe bereits im
Verlauf der Pandemie erlebt hat, kann dies ethisch gerechtfertigt
werden.
Deutscher Ethikrat
Foto: Deutscher Ethikrat