Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Russland scharf kritisiert und die sofortige Freilassung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny gefordert. "Russland verstößt gegen Verpflichtungen, die das Land im nationalen wie internationalen Recht zum Schutz der Menschenrechte eingegangen ist", sagte Steinmeier der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Samstagsausgabe) in einem Interview. Nawalny müsse "sofort und ohne Vorbedingungen freigelassen werden".
Nawalnys Verhaftung und Verurteilung habe "mit Rechtsstaat nichts zu tun", dafür fehle ihm "jedes Verständnis", sagte der ehemalige Außenminister. "Es ist geradezu zynisch, den einzusperren, der gerade erst von einer lebensbedrohlichen Vergiftung genesen ist, die ihm in seinem Heimatland zugefügt worden ist."
Nawalny war Mitte Januar bei seiner Rückkehr nach Moskau festgenommen worden. Er war zuvor in Deutschland nach einem Giftanschlag behandelt worden, für den er die russische Regierung verantwortlich macht. Am Dienstag entschied ein Moskauer Gericht, dass der Kritiker von Präsident Wladimir Putin wegen einer Bewährungsstrafe aus dem Jahr 2014 nun knapp drei Jahre in eine Strafkolonie muss. Für Nawalnys Freilassung und gegen Putin waren in Russland zuletzt zehntausende Menschen auf die Straße gegangen.
Steinmeier forderte, neben der Kritik an Russland aber immer auch nach Anknüpfungspunkten zu suchen, um das Verhältnis zu verbessern. Das gelte auch für Frage, ob die Ostseepipeline Nord Stream 2 zu Ende gebaut werden solle. Der Dialog mit der neuen US-Regierung über diese Frage habe noch gar nicht begonnen. Steinmeier gab zu bedenken, dass "die Energiebeziehungen fast die letzte Brücke zwischen Russland und Europa" seien. "Beide Seiten müssen sich Gedanken machen, ob man diese Brücke vollständig und ersatzlos abbricht. Ich finde: Brücken abzubrechen ist kein Zeichen von Stärke."
Hinzu komme die "sehr wechselvolle Geschichte" von Russland und Deutschland, fügte Steinmeier hinzu. "Es gab Phasen fruchtbarer Partnerschaft, aber noch mehr Zeiten schrecklichen Blutvergießens." Am 22. Juni jähre sich zum 80. Mal der Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. "Ja, wir leben in der Gegenwart eines schwierigen Verhältnisses, aber es gibt eine Vergangenheit davor und eine Zukunft danach", sagte der Bundespräsident.
mid
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