Münster - Menschen, die ihre eigene gesellschaftliche Gruppe als benachteiligt wahrnehmen, sind unzufriedener mit der Demokratie als andere, sehen in Migrantinnen und Migranten tendenziell eine Bedrohung und würden eher die AfD wählen. Das ergab eine Untersuchung aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU).
„Unsere Analysen zeigen, dass sich insbesondere ältere Menschen mit einem niedrigeren Bildungsgrad in ländlicheren Regionen benachteiligt fühlen und das Gefühl haben, der Gesellschaft seien Leute wie sie egal“, erläutern die Psychologen Prof. Dr. Mitja Back und Studienleiter Michael Bollwerk. Die Studie wird in der Fachzeitschrift „European Journal of Psychological Assessment“ erscheinen.
„Gesellschaftliche Konflikte und der damit verbundene Aufstieg rechtspopulistischer Parteien haben im Zuge der voranschreitenden Globalisierung in den vergangenen Jahren spürbar zugenommen", erläutern die Forscher. Während ein Teil der Bevölkerung von der Modernisierung profitiere, fühle sich ein anderer Teil hierdurch benachteiligt. Um zu erforschen, was die subjektiv ausgegrenzten Personen charakterisiert und in welchen gesellschaftlichen Bereichen sich diese Gefühle abspielen, haben die Wissenschaftler Interviews mit Vereinen sowie zwei große Online-Befragungen durchgeführt.
Von August bis November 2019 nahmen gut 2.500 Personen an den
Online-Befragungen teil, deren Ziel die Entwicklung eines empirisch
fundierten Fragebogens zur Messung Wahrgenommener Gesellschaftlicher
Marginalisierung (WGM) war.
Der Fragebogen wird nun in einem großen interdisziplinären Forschungsvorhaben des Exzellenzclusters zu Bedrohung, Zugehörigkeit und Demokratieakzeptanz in Europa eingesetzt, welches die Religionssoziologen Prof. Dr. Detlef Pollack und Dr. Olaf Müller, der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Bernd Schlipphak sowie die Psychologen Prof. Dr. Gerald Echterhoff und Prof. Dr. Mitja Back unter dem Untertitel „Eine neue religiös konnotierte Konfliktlinie in Europa?“ durchführen. Mitte 2021 wollen sie Ergebnisse der Repräsentativumfrage in europäischen Ländern vorlegen.
Standardisiertes Instrument zur Bemessung von Benachteiligung
Die Ergebnisse der Repräsentativumfrage werden in drei Teilprojekten am Exzellenzcluster ausgewertet: Die Psychologen Prof. Dr. Mitja Back und Prof. Dr. Gerald Echterhoff erfassen verbreitete Gefühle der Bedrohung durch Fremdgruppen und arbeiten Faktoren ihrer Entstehung heraus. Die Religionssoziologen Prof. Dr. Detlef Pollack und Dr. Olaf Müller beschäftigen sich mit Vorstellungen und Gefühlen kollektiver und politischer Zugehörigkeit. Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Bernd Schlipphak untersucht, wie Bedrohungsgefühle und Zugehörigkeitsvorstellungen Einstellungen zur Akzeptanz demokratischer Herrschaft beeinflussen.
„Mit der aktuellen Teilstudie wollen wir zu einem besseren Verständnis von gesellschaftlicher Unzufriedenheit beitragen“, so Psychologe Mitja Back. Dies sei gerade in Zeiten einer erhöhten Unsicherheit durch gesellschaftliche Krisen wie der aktuellen Corona-Pandemie wichtig, in der etwa Verschwörungsideologien verstärkt Zuspruch fänden. „Zudem können wir erstmals analysieren, ob wirtschaftliche, kulturelle und politische Aspekte der Wahrnehmung von Marginalisierung unterschiedliche Einflüsse auf grundlegende politische und gesellschaftliche Einstellungen haben“, führt Bernd Schlipphak aus.
Mit dem Fragebogen liegt ein standardisiertes Instrument zur Messung
von Gefühlen der Benachteiligung in der Bevölkerung vor. Gegenwärtig
arbeiten die Forscher an Studien, welche sich auf die Wirkung der WGM
auf Einstellungen gegenüber Demokratie und Populismus im Ländervergleich
konzentrieren. Zukünftige Studien sollen die Entwicklungsbedingungen
von Benachteiligungsgefühlen analysieren und untersuchen, inwieweit die
WGM mit tatsächlichem Verhalten, etwa der Teilnahme an Demonstrationen
von Verschwörungsideologen, zusammenhängt.
WWU Münster (exc/vvm/sca)
Foto: Symbolbild, Markusspiske / pixabay