Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor allen Dingen von den Grünen!
Erst vertuschen, dann die eigene Verantwortung leugnen, dann durch Desinformation Verwirrung stiften und schließlich auch noch die Opfer zu Tätern machen – was wie ein Auszug aus einem alten Agentenhandbuch klingt, ist, kurz gefasst, nichts anderes als das Drehbuch, nach dem Moskau in den letzten Monaten agiert hat: nach dem Cyberangriff auf den Bundestag, nach dem Mord im Tiergarten und zuletzt auch im Umgang mit Alexej Nawalny.
Deshalb will ich zu Beginn noch einmal die Fakten in Erinnerung rufen. Unsere Aufforderung, die genannten Verbrechen zu untersuchen und aufzuklären, wurde mit teils absurden Beschuldigungen gegenüber der Bundesregierung oder dem zynischen Vorwurf der Selbstvergiftung von Alexej Nawalny quittiert. Appelle, völkerrechtliche Verpflichtungen nach dem Chemiewaffenübereinkommen oder internationale Menschenrechtskonventionen zu achten, wurden als Einmischung in innere Angelegenheiten erklärt und ignoriert. Und Proteste der russischen Bevölkerung gegen die Inhaftierung von Alexej Nawalny, gegen Willkür in der Justiz und gegen Korruption werden gewaltsam unterbunden.
Es geht dabei und es geht uns um die Einhaltung grundlegender Prinzipien internationalen Rechtes. Es geht um Menschenrechte, und es geht auch um unsere Werte. Deshalb fordern wir nach wie vor von Moskau die unverzügliche Freilassung Alexej Nawalnys und der festgenommenen Demonstranten.
Und, Herr Gauland, wir tun dies auch deshalb, weil diejenigen, die dort verhaftet worden sind, nichts Weiteres tun, als die Freiheiten zu fordern, die ihnen die russische Verfassung zugesteht und die der russische Staat ihnen verweigert.
Auf die ungerechtfertigte Ausweisung von drei europäischen Diplomaten haben wir eine klare und vor allen Dingen auch eine europäische Antwort gegeben. Ich bedauere es sehr, dass Moskau den Besuch von Josep Borrell nicht genutzt hat, um trotz aller Differenzen nach Feldern gemeinsamen Interesses zu suchen.
Stattdessen haben wir eine sorgfältig inszenierte Propagandashow und gezielte Provokationen erlebt, und das ist weit mehr als nur eine verpasste Chance. Deshalb werden wir uns beim nächsten Außenministerrat der Europäischen Union am 22. Februar mit einer Reaktion auf das russische Verhalten und dem Umgang mit Oppositionellen und friedlichen Demonstranten beschäftigen müssen. Wir wären froh, wir müssten es nicht tun.
Weil es in dem Zusammenhang auch um Sanktionen geht, will ich zwei Dinge sagen, die mir ganz besonders wichtig sind.
Erstens: Sanktionen müssen immer an klare, umsetzbare Forderungen nach einer Verhaltensänderung geknüpft sein. Und selbst wenn keine Verhaltensänderungen zu erwarten sind, können Sanktionen auch ein Statement sein, bestimmte Verhaltensmuster nicht ohne Konsequenzen zu akzeptieren. Das war bei unserer Reaktion auf die Annexion der Krim und auf das russische Vorgehen in der Ostukraine der Fall, und das muss auch jetzt der Fall sein.
Zweitens – das will ich auch dazusagen –: Sanktionen müssen die Richtigen treffen. In diesem Fall sind das diejenigen, die verantwortlich sind für das repressive Vorgehen der Staatsmacht gegen ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger, und nicht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von fast 150 europäischen Unternehmen, die meisten davon aus Deutschland.
Damit bin ich auch bei Nord Stream 2, denn darum geht es ja letztlich denjenigen, die heute diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Wer Nord Stream 2 grundsätzlich infrage stellt – diese Meinung kann man durchaus vertreten –, der muss aber auch bedenken, zumindest geostrategisch, welche Konsequenzen das haben wird und was das für die Einflussmöglichkeiten Europas auf Russland bedeutet. Ich bin gerne bereit, diese Debatte zu führen; aber wir können auch gerne über andere Energieimporte reden. Es gibt ja Länder, die von uns die Einstellung der Bauarbeiten verlangen, obwohl sie selber zur gleichen Zeit ihre Schweröltransporte oder -importe aus Russland erhöhen. Wir müssen auch darüber reden, was das für das Eskalationspotenzial bedeutet; denn letztlich läuft es ja darauf hinaus. Sie sagen, aufgrund der Vorgänge in Russland dürften wir keine Geschäfte mehr mit Russland machen. Letztlich kommt jedes Geschäft, das man mit Russland macht, auch dem Staat zugute – es gilt also für alle –; das heißt, es läuft auf eine vollständige ökonomische Isolation Russlands hinaus.
Wir haben eine ähnliche Debatte mit Blick auf China; dabei spricht man von „Decoupling“. Nichts anderes als die wirtschaftliche Isolation auch Chinas ist damit gemeint. Ob das in einer globalisierten Welt überhaupt funktionieren kann, sei mal dahingestellt. Aber es muss Ihnen doch vollkommen klar sein, wohin das geostrategisch führt. Sie treiben Russland und China immer mehr zusammen, und Sie schaffen damit den größten wirtschaftlichen und militärischen Verbund, den es gibt. Und ich finde nicht, dass das die Strategie des Westens in dieser Auseinandersetzung sein sollte. Deshalb bin ich dagegen, in diesem Zusammenhang alle Brücken nach Russland abzureißen.
Ich bin zurzeit Vorsitzender des Ministerkomitees des Europarates. Mir ist gesagt worden, wir sollten Russland jetzt wieder aus dem Europarat schmeißen. Wir haben im letzten Jahr zusammen mit Frankreich und Finnland dafür gesorgt, dass sie drinbleiben. Denn ich habe nie verstanden, was der Sinn ist, Russland aus diesem Gremium auszuschließen. Mit der Mitgliedschaft Russlands im Europarat haben Millionen russische Bürgerinnen und Bürger weiterhin Zugang zum Menschengerichtshof in Straßburg. Sollen wir ihnen diesen Zugang nehmen? Selbst wenn wir Russland dafür kritisieren, dass es die Urteile nicht umsetzt, gibt uns das aber ein Instrument, mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte darauf hinzuwirken, dass Bürgerrechte in Russland eingehalten werden. Ich halte von der Strategie der abgebrochenen Brücken nichts. Sie ist nicht nur falsch, sondern sie ist gefährlich.
Wir haben viele Kooperationsangebote gemacht, etwa auch bei den Themen Klima oder Nachhaltigkeit und auch jetzt in der Pandemiebekämpfung. Und auch Josep Borell hat bei seinem Besuch in Moskau den europäischen Willen zu einem konstruktiven Umgang miteinander noch einmal unterstrichen. Ich bin ihm auch dankbar dafür, dass er das gerade in dieser schwierigen Zeit gemacht hat. Wir haben beantragt, den Nato-Russland-Rat einzuberufen; wir warten bis heute auf eine Antwort aus Russland. Wir haben auf Russlands Ankündigung, aus dem Vertrag über den Offenen Himmel auszusteigen, gemeinsam mit 15 weiteren Außenministern und Außenministerinnen ein Dialogpaket entwickelt und ein Angebot gemacht. Bis heute fehlt jede russische Reaktion darauf.
Deshalb sage ich: Je schwieriger die Zeiten sind, desto klarer muss unsere Sprache gegenüber Moskau sein. Aber wir haben ein Interesse an einem besseren Verhältnis Europas mit Russland, und wir werden die Dialogbereitschaft weiter aufrechterhalten. Der Schlüssel aber dafür liegt zurzeit nicht in Berlin oder in Brüssel, sondern er liegt in Moskau.
Vielen Dank.
Bulletin 19-2