Knapp drei Monate hat er an seinem neuesten Werk gemalt. Es heißt „Aussicht“ und zeigt den Künstler Christoph Worringer in seinem Atelier bei der Arbeit. Das Atelier in Wiesbaden liegt gegenüber dem geschichtsträchtigen Hotel Albany.
Was wie ein hyperrealistisches Selbstporträt aussieht ist in Wirklichkeit eine poetische Überhöhung der Wirklichkeit. Zwar hat sich der Künstler tatsächlich mit Hilfe verschiedener Spiegel bei seiner Arbeit beobachtet und dabei gemalt, aber die ganze Szenerie ist eine Inszenierung und bis ins Detail arrangiert. Das Gemälde „Aussicht“ ist beileibe keine Momentaufnahme oder ein mit Hilfe einer Kamera festgehaltener Schnappschuss.
Ausschnitt aus "Aussicht"
Die Wirklichkeit sieht nur oberflächlich so aus wie die Wirklichkeit. Was wir sehen, ist ein poetisch verfremdeter Traum, den Worringer wie ein Rebus vor uns ausbreitet. Es gibt viel zu entdecken auf diesem Gemälde. Und man wird nicht müde, immer neue Details zu einander in Beziehung zu setzen. So ist das halt mit einem Traum. Er kennt keine Grenzen und ist in seiner Vieldeutigkeit maßlos.
Ausschnitt aus "Aussicht"
In seinen Bildern taucht der Künstler selber immer wieder auf, mitunter in verschiedenen Rollen und unterschiedlichen Verkleidungen. Es ist der Versuch einer Selbstobjektivierung und einer Selbsterfahrung. Christoph Worringer setzt sich mit seinem Konterfei so auseinander als stünde er stundenlang vor einem Spiegel oder ließe sich von einer Videokamera beobachten. Der Künstler schaut sich dabei selbst in die Augen und versucht sich und seine Persönlichkeit zu ergründen.
Der Künstler vor seinem Gemälde
Neben dem Gemälde „Aussicht“ sind kleinere Ölbilder und Zeichnungen aus dem vergangenen Jahr präsent. Alle Arbeiten faszinieren alleine durch ihre kunstvolle und altmeisterliche Handwerklichkeit. Christoph Worringer ist einer, der sein Handwerk – das Malen und Zeichnen – auf der Akademie gelernt hat wie kein Zweiter. Worringer ist ein Pedant und penibler Arbeiter. Bis in den Millimeterbereich malt er präzise, so dass man auch gut an die Gemälde herantreten und sie gewissermaßen mit einer Lupe in Augenschein nehmen kann.
Das Gemälde "Pow" - eine Hommage an Quentin Tarantino
Christoph Worringer fordert Konventionen des Sehens stets neu auszuhandeln und uns selbst in der Betrachtung mitzudenken. „Plastizität, Licht und Schatten sowie Dimension der Bilder sind ausschließlich physisch vor dem Original zu erleben. Da Worringers Bilder einen aktiven Betrachter verlangen, der sich den Bildern physisch nähert, sich distanziert, sich reckt und sich hockt, um die Bilder zu erleben.“ (Zitat von der Website des Künstlers)
Ausschnitt aus "Pow"
2010, kurz vor Beginn der Arbeiten an dem Neubau, ging das Westfälische Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte mit einer letzten großen Ausstellung ein Wagnis ein. Das Museum zeigte die Malerei von Christoph Worringer, der damals erst vier Jahre vorher die Kunstakademie in Münster als Meisterschüler verlassen hatte. Und der Mut der Museumsdirektion sollte mit enormen Besucherzahlen und fantastischem Zuspruch belohnt werden.
Ausschnitt aus "Pow" immer wieder zeigt der Maller sich selbst
Damals noch nicht zu sehen, weil es erst Ende 2010 seine endgültige Fassung bekam, war das zwei mal drei Meter große Ölbild mit dem Titel „Pow“. Es ist das älteste Worringer-Gemälde und nie zuvor öffentlich gezeigt, das die Hachmeister Galerie in ihrer Ausstellung „Christoph Worringer – Aussicht“ präsentiert. „Pow“ ist so etwas wie eine Hommage an die frühen Filme des Regisseurs Quentin Tarantino.
Ausschnitt aus "Pow"
„Will man Worringers Bildern mit einer konsistenten Theorie begegnen, wie wir es im deutschen Sprachraum in den Kunstwissenschaften gewohnt sind, wird dieses Streben nach einer objektiven Sicht ad absurdum geführt. Die Arbeiten können nur angemessen erfasst werden, wenn wir anerkennen, dass Betrachter auf unterschiedliche Art und Weise sehen und wahrnehmen. Wahrnehmen – wie in der Intersubjektivität – ist eine Beziehung zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Sichtweisen. Die Erkenntnis der Erkenntnis hat ihren Ursprung im jeweiligen Ich selbst. Der Sehende begreift seinen eigenen Blick. In Didi Hubermanns Worten: „Was wir sehen blickt uns mit unseren Augen an.“ Daraus postuliert sich aber Bilder als eigenständige Person anzuerkennen. Als solche bringen sie ihre eigene Metasprache mit, sind gleichsam selbstreflexiv, performativ. Sie besitzen ein Eigenleben.“ (Zitat von der Website des Künstlers)
AAusschnitt aus "Pow"
Christoph Worringer studierte von 2001 bis 2006 an der Kunstakademie Münster und arbeitete bis 2016 in Düsseldorf. Heute lebt er in Wiesbaden. 2003 erhielt er ein Stipendium des Cusanuswerkes und 2004 das Märkische Stipendium für Bildende Kunst. Schon in der Zeit als Worringer noch an der Kunstakademie studierte hat Heiner Hachmeister ihn entdeckt und unter Vertrag genommen.
Christoph Worringer – Aussicht vom 9. November 2019 bis zum 8. Februar 2020
Hachmeister Galerie, Klosterstr. 12, 48143 Münster
Abbildungen:
Pow 2010, Öl auf Leinwand 200 x 300 cm, © Christoph Worringer, Hachmeister Galerie, VG Bild Kunst
Aussicht 2019 Öl auf Leinwand 200 x 150 cm, © Christoph Worringer, Hachmeister Galerie, VG Bild Kunst