Münster - Wer den nördlichsten Außenposten der WWU kennenlernen möchte, der muss sich weit außerhalb Münsters begeben. Rund drei Stunden, vom Schloss aus betrachtet, dauert die Anreise. Vorbei an Oldenburg, weiter nach Norden die A 29 bis zur Bundesstraße 210 in Richtung Wittmund und von dort immer dem Meeresduft nach – bis nach Carolinensiel. Im Ort angekommen, geht es über die Straße Friedrichsgroden bis zur gleichnamigen Bushaltestelle, um dort rechts abzubiegen und langsam über den Bauernhof zu fahren. Nach einigen Hundert Metern über eine etwas ruppige Betonpiste zwischen Feldern und Deich ist das Haus Nummer 16 erreicht, ein roter Backsteinbau: die Meeresbiologische Wattstation der WWU.
Die Universität kaufte das Gelände zu Beginn der 1970er Jahre. „Da
gab’s noch keine Labore, nur eine alte Bauernkate“, sagt Dr. Hans-Ulrich
Steeger vom Institut für Zoophysiologie (IZP), der die Wattstation
leitet. „Es heißt, die ersten Kurse habe Prof. Hinrich Rahmann
seinerzeit noch in der Garage seines benachbarten Ferienhauses
abgehalten.“
1972 ersetzte ein Neubau die Kate. Immerhin zehn Personen konnten gleichzeitig darin arbeiten. Weil der Seminarraum rasch zu eng wurde, folgte in den 1980ern ein Anbau nach Süden, mit Platz für 16 Studierende. In diesem Zustand hat Hans-Ulrich Steeger die Station 1995 kennengelernt. „Für ein bereits bewilligtes Forschungsprojekt aus der Ökosystemforschung war die Station schon wieder zu klein geworden, die Ornithologen sind auf Campingwagen ausgewichen.“
Nachdem ein neuer Deich für mehrere Jahre Baustopp gesorgt hatte, wurde das Haus 1998 renoviert und erweitert. Bis zu 30 Personen können heute in der Wattstation lernen und forschen, inklusive Übernachtungsmöglichkeiten für bis zu 20 Teilnehmer. Parallel dazu können neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Station arbeiten. Neben einem kleinen und einem größeren Seminarraum für acht beziehungsweise 30 Personen und einem Kursraum stehen dafür auch ein Trockenlabor und ein seewasserfestes Nasslabor zur Verfügung. Hinzu kommt eine großzügige Küche zur Selbstversorgung. Im Obergeschoss gibt es mehrere Zimmer mit Einzel- und Doppelstockbetten sowie vier Nasszellen. Jedes Zimmer bietet einen anderen und schönen Ausblick ins Grüne beziehungsweise aufs Wattenmeer.
In den beiden hintereinander gelegenen Laboren, beide rund 25
Quadratmeter groß, stehen zahlreiche Apparaturen zur Analyse von Flora
und Fauna. An den Wänden hängen ausgestopfte Vögel, das Mobiliar ist
einfach, aber funktional. Hier an der Küste haben schon Generationen von
Studierenden Proben aus dem Wattenmeer genommen und untersucht, aus
einem der produktivsten Ökosysteme der Erde. „Am Rand des Nationalparks
finden sich besondere Lebensräume und somit einzigartige Tier- und
Pflanzengemeinschaften in Salzwiesen, Gezeitenzonen, Watten, Prielen und
Platen, auf Dünen und Stränden,“ erläutert Hans-Ulrich Steeger. Das
Wattenmeer sei zudem „Kinderstube“ wichtiger Fische und Heimat von
Seehunden und Kegelrobben.
Die ältesten Biologischen Stationen stammen aus den 1870er Jahren. Man wollte die Darwin’schen Thesen zur Evolution erforschen. „Damals waren die Herren mit Frack und Zylinder am Meeresstrand unterwegs. Abends legten sie ihre gesammelten Fundstücke im Hotel in ihren mitgebrachten Glasbehältern in Formaldehyd ein. Für die Hotels war das etwas problematisch, deshalb wurden Feldstationen überall auf der Welt gegründet.“
Neben den Biologen zählen die Geologen zu den Hauptnutzern des
Gebäudes. Prof. Dr. Harald Strauß vom Institut für Geologie und
Paläontologie unternimmt mit Masterstudierenden der Geowissenschaften in
Carolinensiel regelmäßig Exkursionen ins Watt. „Ich kann die
Wattstation nur in den höchsten Tönen loben“, unterstreicht er, „vor
allem für die Möglichkeit des forschenden Lernens und die besondere
Arbeitsatmosphäre.“ Wegen der Abhängigkeit von den Gezeiten sei es nicht
ungewöhnlich, bis nachts um ein Uhr im Labor zu arbeiten. „Die
Studierenden machen aber gerne mit, es ist ja etwas anderes als ein
normales Laborpraktikum.“
Harald Strauß freut sich über die gute technische Ausstattung und Infrastruktur des Hauses. „Wir bringen lediglich ein kleines chemisches Labor aus Münster mit.“ Die Wattstation ermögliche es, geologische und biologische Expertise zu verknüpfen. „Hier können Studierende den Lebensraum erkunden und sich live damit beschäftigen, was sie sonst in versteinerter Form vor sich sehen“, sagt Harald Strauß. Inklusive neuer Herausforderungen bei der Laborarbeit: „Steine halten unterm Mikroskop eher still als Mikroorganismen.“
In der Wattstation der WWU willkommen ist auch, wer die Labore nicht braucht, aber die besondere Arbeitsatmosphäre am Meer schätzt. Dazu zählen Fachschaften, die Dezernentenrunde und Gremien des AStA ebenso wie das Institut für Rechtsgeschichte. Externe Gäste waren Kurse der Universitäten Köln und Düsseldorf, des Max-Planck-Instituts für marine Mikrobiologie sowie Forscherinnen und Forscher des Alfred-Wegener-Institus Bremerhaven, der Vogelwarte Helgoland und angehende Nationalpark-Ranger des Landes Niedersachsen. „Darüber hinaus können wir das Haus je nach Auslastung an Erholungsgäste innerhalb der WWU vergeben“, betont Hans-Ulrich Steeger. Wegen der Pandemie können zurzeit maximal acht Studierende an den Kursen teilnehmen, mit Hygienekonzept und einem frischen, negativen Corona-Testergebnis. Die nächste Fahrt ist für Februar geplant. „Wenn dann hoffentlich eine ordentliche Hochdrucklage herrscht, haben wir zwar Frost, aber auch Windstille und schönsten Sonnenschein.“
WWU/ Brigitte Heeke. Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 27. Januar 2021.
Foto: WWU - nor. Anfang der 70er Jahre kaufte die Universität Münster das Gelände, auf dem heute die Meeresbiologische Wattstation untergebracht ist.