Westfalen-Lippe (lwl). Am Sonntag (21.2.) ist "Tag der Muttersprache" - für gehörlos geborene Menschen in Deutschland ist das die Deutsche Gebärdensprache (DGS). "Lange Zeit wurde diese Sprache nicht als richtige Sprache anerkannt", erklärt Nicole Klinner. Sie ist selbst gehörlos und unterrichtet DGS an der Rheinisch-Westfälischen Realschule des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Dortmund.
Die Gebärdensprache hat sich überall dort entwickelt, wo sich gehörlose Menschen getroffen haben - zu Hause, im Freundeskreis, bei der Arbeit und in der Freizeit. "Die Menschen haben sich früher untereinander mit ihren eigenen erfundenen Gesten und Zeichen verständigt, den sogenannten Hausgebärden", erklärt Klinner. "Die Gebärdensprache ist eine visuelle Sprache, während Deutsch eine Lautsprache ist. Neben den Gebärden mit den Händen sind auch die Mimik und die Körperhaltung in der Gebärdensprache sehr wichtig." Die Corona-Pandemie erleichtere die Kommunikation mit Hörenden daher sogar ein wenig: weil die Masken einen Großteil des Gesichts verdecken, nutzen die Menschen allgemein mehr Gestik und Zeichen zur Verständigung.
Im 18. Jahrhundert gründete der Franzose Charles-Michel de l’Epée die erste Schule für Gehörlose und führte die Gebärdensprache im Unterricht ein. Etwa 100 Jahre später, im Jahr 1880 entscheiden die führenden Gehörlosenpädagogen in Europa auf dem sogenannten Mailänder Kongress, dass alle Gehörlosen lautsprachlich zu unterrichten sind und verbieten die Gebärdensprache in den Schulen. "Gehörlose mussten in der Schule lernen, Laute zu artikulieren und von den Lippen zu lesen. Durch diese Sprachbarriere war es für sie viel schwieriger, dem Unterricht zu folgen", erzählt Klinner. "Gehörlose Kinder hatten praktisch keine Möglichkeit, eine gute Bildung zu erhalten."
Auch Klinner lernte während ihrer Schulzeit noch, sich lautsprachlich zu artikulieren. Während die Lehrer ihre Aussprache lobten und sie ermutigten, weiter Deutsch zu sprechen, funktionierte die Verständigung im Alltag meist nicht: "Außerhalb der Schule merkte ich schnell, dass hörende Menschen nicht an die Aussprache von Gehörlosen gewöhnt sind und mich deswegen nicht richtig verstanden. Warum sollte ich also weiterhin sprechen? Im Unterricht musste ich mich daranhalten, was die Schule vorgab. Aber als ich älter wurde, wuchs mein Selbstvertrauen, so zu kommunizieren, wie ich das möchte", sagt sie. "Ich muss mich nicht immer anpassen, denn meine Sprache ist Teil meiner Identität." Erst seit 2002 ist die Gebärdensprache in Deutschland als eigenständige Sprache anerkannt.
Eine Schriftsprache hat sich aus der Gebärdensprache bisher nicht entwickelt, sodass gehörlose Menschen Deutsch schreiben und lesen lernen. "Das ist vergleichbar damit, eine Fremdsprache zu lernen: Wir lernen ein neues Alphabet, neue Wörter und eine andere Grammatik", betont Klinner. "Hörenden fällt es hingegen beim Lernen der Gebärdensprache oft schwer, sich mit dem ganzen Körper auszudrücken. Häufig konzentrieren sie sich so stark auf die einzelnen Gebärden, dass sie die Mimik und den Blickkontakt vergessen."
Jedes Land hat seine eigene Gebärdensprache: Ebenso wie beispielsweise das Wort "Freund" in Englisch "Friend" oder auf Französisch "Ami" heißt, unterscheiden sich auch die Gebärden von Land zu Land. "Nicht nur international, auch innerhalb von Deutschland haben sich je nach Region teilweise andere Gebärden etabliert. Dadurch gibt es auch in der Gebärdensprache Dialekte." Heutzutage tragen laut Klinner vor allem die Sozialen Medien dazu bei, dass sich die Gebärden verbreiten und einzelne sogar international etablieren.
Im Umgang mit gehörlosen oder hörgeschädigten Menschen erhofft sich Klinner vor allem mehr Offenheit von der Gesellschaft: "Es wäre schön, wenn die Bereitschaft zur Kommunikation höher wäre und die Menschen mehr aufeinander zugehen würden. Wenn wir miteinander reden möchten, dann finden wir auch einen Weg - ob mit Hand und Fuß oder schriftlich über das Handy."
Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) vom 19.02.2021