Er hat große Ziele. YouTuber Simon Desue will einen Weltrekord knacken. "Wir werden 1000 Gummibärchen in 100 Sekunden essen", kündigt er an, seine Worte werden untermalt von der erwartungsvollen "Wer wird Millionär"-Musik. Die Zeit verstreicht und er schafft etwa zwanzig. Sein Vorhaben scheitert zwar kläglich, dafür aber freut sich Simon Desues Konto. Sponsoring-Verträge mit Konzernen wie Haribo sind für Influencer äußerst lukrativ.
Vergangene Woche hat Luise Molling von der Verbraucherorganisation foodwatch einen Report zum Thema Influencer-Marketing vorgestellt. In ihrer Recherche untersuchte die Organisation Posts und Storys der 20 reichweitenstärksten Influencer auf YouTube, Instagram und Tiktok auf Werbebeiträge. Simon Desue ist einer von fünf auffällig gewordenen Influencern, bei denen foodwatch in die Tiefe ging und einige Tausend Beiträge sichtete.
Luise Molling problematisiert das an Kinder gerichtete Junkfood-Marketing. Während der Wachstumsphase festigen sich Essgewohnheiten, die sich auf das spätere Leben und die Gesundheit auswirken. Die Ernährungsweise von deutschen Kindern und Jugendlichen sei derzeit geprägt von Defiziten, so Professor Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit: Zu wenig pflanzliche Lebensmittel, zu viel Salz und zu viel Zucker, vor allem in Form von Süßgetränken. An Kinder gerichtete Junkfood-Werbung verschärfe das Problem. Gesundheitslogik und Unternehmenslogik widersprechen sich. Salopp gesagt: Mit Gemüse lässt sich kein Geld verdienen.
Aus Sicht der Lebensmittelkonzerne ist längst nicht mehr nur das Fernsehen als Marktplatz interessant. Das Internet ermöglicht nicht nur eine genauere Ansprache der Zielgruppe. Auf sozialen Medien erzielen Influencer Reichweiten, die sich viele Fernsehprogramme nur wünschen können. Kinder und Jugendliche bauen zu den Stars eine geradezu freundschaftliche Beziehung auf, bringen ihnen Vertrauen entgegen und sprechen ihnen eine hohe Glaubwürdigkeit zu.
Und nicht nur das. Die Meinungsführer fordern ihre Zuschauer zur Interaktion auf: Liken, teilen, kommentieren. Unter Umständen werden die Kinder dadurch selbst zu Werbeträgern. Ein Beispiel aus dem foodwatch-Report: Simon Desue veröffentlichte 2019 auf Instagram einen Werbebeitrag für Haribo und verloste darin unter anderem Süßigkeitenpakete des Herstellers. Die Teilnahmebedingung: „Poste einfach dein Naschgesicht auf Tiktok oder Instagram mit dem Hashtag #myharibomoment.“ Inzwischen hat Simon Desue den Post gelöscht.
Einige Influencer betreiben unbezahlte Werbung für Junkfood-Produkte von bekannten Marken. Dagi Bee hat in einem solchen Beitrag Cheetos öffentlich darum gebeten, sie mögen sie unter Vertrag nehmen. Andere Internetstars geben an, dass es sich bei einem bestimmten Post leider (!) um keine Werbung handelt. Ein Wink mit dem Zaunpfahl.
Foodwatch fordert nun verbindliche Richtlinien für an
Kinder gerichtete Werbung. Bisher besteht für Unternehmen lediglich die
Pflicht, Werbung kenntlich zu machen sowie das Verbot, direkt zum Kauf der
Produkte aufzurufen. Länder wie Portugal, Schweden und der Iran haben bereits
verpflichtende Werbebeschränkungen für eine junge Zielgruppe eingeführt und
konnten im Schnitt einen verringerten Pro-Kopf-Konsum von Junkfood nachweisen. Trotz dieser Erfolge setzt Ernährungsministerin Julia Klöckner nach wie vor auf Selbstverpflichtung der Konzerne.
Foto: foodwatch