Münster - Stellen Sie sich vor, Sie leben im Jahr 2030 und haben, genau wie die überwiegende Mehrheit Ihrer Clique, einen Chip im Gehirn implantiert. Über dieses Brain-Computer-Interface (BCI) kommunizieren Sie mit anderen Menschen. Persönliche Treffen sind nicht mehr angesagt, stattdessen hängen Sie gerade − wie sonst auch meistens − mit anderen Halbwüchsigen im virtuellen Jugendtreff ab. Gemeinsam wird über einen Teenager gelästert, der sich in der virtuellen Realität (VR) noch mit einer uncoolen VR-Brille bewegen muss, weil ihm seine Eltern keinen BCI-Chip erlauben. Dies war eines der Prüfungsszenarien im Seminar „Zwischen virtueller Realität und Künstlicher Intelligenz – Die Auswirkung der digitalen Transformation auf die Zukunft der Sozialen Arbeit“ am Fachbereich Sozialwesen der FH Münster.
Die Studierenden mussten in dieser Lehrveranstaltung kein Referat halten und auch keine Klausur schreiben, um Credit Points zu erhalten. Als Prüfungsleistung entwickelten sie stattdessen ein Szenario in der virtuellen Realität. Im oben beschriebenen Beispiel schlüpften sie genau wie ihre Kommiliton*innen und Dozent*innen in die Rolle von Jugendlichen im virtuellen Treff – und zwar jeder und jede vom eigenen Rechner von zu Hause aus. Alle „Anwesenden“ nahmen mithilfe von VR-Brillen am Geschehen teil und konnten so die Mechanismen und Auswirkungen von Cybermobbing direkt nachvollziehen. Außerdem diskutierten sie in der Gruppe die Vor- und Nachteile eines BCI-Chips. Etwa, dass er angenehmer sei als eine VR-Brille, die nach stundenlangem Tragen zu Kopfschmerzen und Druckstellen führen könne.
Bei der zweiten Gruppe ging es um einen Kindergarten, der Künstliche Intelligenz (KI) zur Beobachtung der Kinder einsetzt, um seine Fachkräfte zu entlasten. Pro- und Contra-Argumente dieses Konzeptes wurden in Form einer virtuellen Podiumsdiskussion mit Eltern, Fachkräften und Experten ausgetauscht. Die dritte Gruppe befasste sich mit „Social Scoring“, einem sozialen Punktesystem, das mit individuellen Vorteilen verknüpft ist, wie es etwa schon in China eingesetzt wird und auch im aktuellen Wilsberg-Krimi thematisiert wurde. Hierzu entwickelten die Studierenden in dem Spiel Minecraft eine Welt mit drei sozialen Schichten, in der man sich Sozialpunkte erarbeiten konnte.
„Es war deutlich schöner als eine Multiple-Choice-Klausur oder eine Hausarbeit zu schreiben, weil man richtig kreativ sein konnte“, so das positive Resümee einer Studentin in der abschließenden Diskussion. Auch die drei Lehrenden, die das Seminar gemeinsam angeboten hatten, waren begeistert von den Leistungen der Studierenden. „Alle Ideen haben sehr gut gepasst, Sie können zufrieden mit sich sein“, sagte Prof. Dr. Eik-Henning Tappe. „Ein schönes Beispiel, wie Lernarrangements in der Zukunft auch gestaltet werden können“, ergänzte sein Kollege Prof. Dr. Julian Löhe. „Toll, wie vielfältig Sie die Möglichkeiten genutzt haben“, so das Fazit von Nachwuchsprofessorin Dr. Gesa Linnemann.
Im Laufe des Seminars hatten sie zusammen mit den Studierenden erkundet, wie sich Prozesse der Digitalisierung und Mediatisierung auf die unterschiedlichen Handlungsfelder der Sozialen Arbeit auswirken. „Wir haben uns angeschaut, welchen Wandelprozessen eine lebensweltorientierte und hilfeleistende Soziale Arbeit zukünftig unterworfen ist“, erläutert Tappe. „Unser Fokus lag dabei auf digitalen und technischen Megatrends wie Blockchain, Künstlicher Intelligenz und Robotik sowie virtuellen und erweiterten Realitäten.“ Vor diesem Hintergrund sind die Zukunftsszenarien für die VR- Präsentationen der Studierenden entstanden.
FH Münster
Foto: Im virtuellen Jugendtreff wurde sogar ein Video zum Thema Cybermobbing auf der Leinwand eingespielt (Screenshot aus Microsoft Altspace VR: FH Münster/Stefanie Gosejohann).