Münster - Mehr als 30 Jahre seines Forscherlebens hat er im Interesse von Kindern und Jugendlichen mit der akribischen Suche nach Ursachen von seltenen Erkrankungen verbracht: Prof. Thorsten Marquardt, Leiter des Bereichs Angeborene Stoffwechselerkrankungen in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am UKM (Universitätsklinikum Münster) erhält in diesem Jahr mit zwei Kollegen den renommierten und mit 50.000 Euro dotierten Eva Luise Köhler-Forschungspreis für Seltene Erkrankungen.
Herr Prof. Marquardt, wie häufig entdeckt man als Forscher eine seltene Erkrankung?
Bei mir ist das jetzt fast dreißig Jahre her, da war ich noch Assistenzarzt. Zusammen mit zwei Medizinstudenten gelang es, unsere erste, bis dahin noch unbekannte Erkrankung zu entdecken und gleich auch eine Therapie dafür zu entwickeln. Das war natürlich ein sehr besonderes Erlebnis und ich habe gedacht, das passiert nie wieder im Leben. Mittlerweile ist es aber schon über 20 Mal passiert, dass wir eine neue Krankheit entdeckt haben, die vorher nicht bekannt war, und wir haben für eine ganze Reihe davon Therapien entwickeln können. Darüber bin ich eigentlich immer noch selbst überrascht.
Was ist das Geheimnis hinter der Entdeckung einer neuen Krankheit? Wie gehen sie vor?
Ich sage den Eltern immer das ist wie mit einem kaputten Auto: Wenn man nicht weiß, warum es nicht fährt, dann hat man Schwierigkeiten, es wieder in Gang zu bringen. Man muss erst mal die Ursache finden. Erst dann hat man manchmal auch die Möglichkeit, sich einen Weg um das Problem herum zu überlegen und eine Behandlung möglich zu machen.
Sie bekommen in diesem Jahr den Eva Luise Köhler-Forschungspreis für die Entdeckung einer neuen sehr seltenen Erkrankung. Jetzt scheint es sogar, als könnte diese Forschungsleistung auch bei der Behandlung von Mukoviszidose helfen.
Die neue Erkrankung heißt TMEM16A-Defizienz und beschreibt den Mangel an einem Eiweiß, das, wenn man diese seltene Erkrankung hat, im Körper nicht funktioniert. Zuerst haben wir die TMEM16A-Defizienz an einem Säugling mit Gedeihstörung entdeckt. Das Mädchen hatte vier Episoden von schweren Durchfällen mit Luftaustritt vom Darm ins Blut. Leider ist es an Multiorganversagen gestorben. Wir haben die Symptome der Erkrankung gesehen und konnten sie nicht zuordnen. Erst im Nachhinein haben wir entdeckt, dass es sich um den Mangel an einem bestimmten Eiweiß handelte. Auch der ältere Bruder ist von der Erkrankung betroffen.
Wie ging es dann weiter?
Wir wollten wissen, wofür dieses Eiweiß eigentlich zuständig ist im Körper. Mein Mitstreiter, Herr Dr. Park, hat mit Herrn Prof. Kunzelmann aus Regensburg jemanden an unsere Seite holen können, der sein ganzes Leben zu diesem Eiweiß geforscht hat. Prof. Kunzelmann hat eine kleine Hautprobe des verstorbenen Mädchens untersucht. Die weiteren Forschungen haben ergeben: Funktioniert das TMEM16A-Eiweiß im Körper nicht, dann hat das die unerwartete Folge, dass ein zweites Eiweiß, CFTR, in seiner Funktion komplett ausfällt. Dessen Fehlfunktion verursacht eine andere Erkrankung, die Mukoviszidose. Obwohl aber bei dem Geschwisterpaar das CFTR ausgefallen war, waren beide nicht lungenkrank. Das ist bei Mukoviszidose-Patienten anders, wo das defekte CFTR-Molekül dafür verantwortlich ist, dass sich zähflüssiger Schleim in den Lungen sammelt. Unsere Überlegung war: Wenn man eine Substanz hätte, die das TMEM16A-Molekül in seiner Funktion hemmt, dann könnte man bei Mukoviszidose-Patienten so die Schleimüberproduktion reduzieren.
Und haben sie eine solche Substanz gefunden?
Die Lösung könnte ein Medikament gegen Würmer sein, Niclosamid®, das TMEM16A hemmt und auch zur Behandlung von COVID-19 im Gespräch ist. Wir versuchen, daraus ein Inhalations-Medikament zu entwickeln, das seine Wirkung nur in der Lunge entfaltet.
Mukoviszidose ist ja gar nicht so selten und hat viel mehr Betroffene…
Genau, in unserem Fall hilft die Entdeckung einer ultraseltenen Krankheit einer anderen seltenen Krankheit. Es gab einen Patienten hier am UKM mit Mukoviszidose, den habe ich begleitet, seit ich hier arbeite. Er ist vor gut einem Jahr verstorben. Es war eines der letzten Dinge, die er vor seinem Tod mitbekommen hat: Dass wir etwas gefunden haben, das möglicherweise irgendwann seine Krankheit bessern könnte. Er wollte sich als Allererster zur Verfügung stellen, damit wir es an ihm testen könnten. Leider ist es nicht mehr dazu gekommen. Sie erleben nicht nur Erfolgsgeschichten, sondern auch traurige Schicksale, wenn sie seltene Erkrankungen behandeln. Den Vater dieses jungen Mannes habe ich gebeten, im Sommer bei der Veranstaltung zur Forschungspreisverleihung aus dem Leben seines Sohnes zu erzählen.
ukm/aw
Foto: Foto (UKM/Wibberg): Prof. Thorsten Marquardt erhält in diesem Jahr den mit 50.000 Euro dotierten Eva Luise Köhler-Forschungspreis.