Seit mehr als 40 Jahren ist Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema in Deutschland. Angefangen mit umweltpolitischem Aktivismus entwickelte sich Ende der 1970er Jahre im Kontext der Grünen Bewegung ein breiteres Verständnis für die ökologische Tragfähigkeit unserer Erde. Dieses hielt in den folgenden Jahren Einzug in politische Debatten. Nach dem Brundtland-Bericht 1987 wurde Nachhaltigkeit als Kompromiss der gegenwärtigen Bedürfnisse und der Fähigkeit zukünftiger Generationen ihre Bedürfnisse wahrzunehmen, definiert. Elf Jahre später erweiterte die Enquete-Kommission des Bundestages den Nachhaltigkeitsbegriff um die bekannten drei Dimensionen: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Auch die Vereinten Nationen haben mit ihren Sustainable Development Goals Maßstäbe für ein nachhaltiges Leben gesetzt, die sich in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie wiederfinden. Und spätestens seitdem das Thema Nachhaltigkeit im Kontext des Klimawandels kommuniziert wird, ist es aktueller denn je. Doch Nachhaltigkeit ist ein vielseitiger Begriff, der sich nicht mit einer einzigen Erklärung erfassen lässt. Jede/r kann sich etwas darunter vorstellen, aber es gibt durchaus verschiedene Zugänge.
Der Verein Münster nachhaltig besteht seit dem Jahr 2013. Als Bürgerbewegung unterstützt er nachhaltige Projekte und agiert dabei im Sinne der Sustainable Development Goals. Der Verein versteht sich dabei als partizipatives Projekt. Jede/r kann sich einbringen. Aufgrund seiner Organisationsform und Herangehensweise erreicht der Verein viele Menschen auf persönlicher Ebene und leistet wichtige Aufklärungsarbeit für ein nachhaltiges Münster. Der Fokus liegt dabei stadtbezogen auf nachhaltigen Lebensstilen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.
Stadt 4.0: Guten Tag Frau Ramsauer. Vielen Dank für ihre Zeit und die Teilnahme am Interview.
Ramsauer: Guten Tag. Das mache ich gerne. Ich finde es wichtig, dass Nachhaltigkeitsprojekte möglichst häufig sichtbar gemacht werden.
Stadt 4.0: Zunächst ist das Thema Nachhaltigkeit ja ein sehr weites. Ihr Verein ist schon länger in Münster aktiv und macht dabei auf verschiedenste Nachhaltigkeitsaspekte aufmerksam. Woraus besteht denn ihre tägliche oder wöchentliche Arbeit im Wesentlichen und wie wird das Thema Nachhaltigkeit in Münster oder auch überregional, angegangen?
Konkret geschieht dies auf dem Tag der Nachhaltigkeit, der von uns einmal im Jahr veranstaltet wird, sowie auf dem Markt der Möglichkeiten. Dort haben Nachhaltigkeitsakteure die Möglichkeit sich und ihre Arbeit vorzustellen. In diesem Kontext bieten sie dann Workshops, Vorträge, Ausstellungen oder andere Aktionen an.
Es gibt aber auch dezentrale Veranstaltungen. Da sind insbesondere Unternehmen zu nennen, die einen Tag der offenen Tür veranstalten, sodass BürgerInnen hinter die Kulissen schauen können.
Außerdem machen wir die Akteure auch digital über unsere Homepage sichtbar. Wir haben dafür eine Nachhaltigkeitskarte entwickelt, auf der fast 100 Akteure verzeichnet sind. Darüber können Interessenten dann mit diesen in Kontakt treten oder sich auch einfach nur einen Überblick verschaffen.
An jedem zweiten Mittwoch im Monat findet ein Netzwerktreffen statt. Das Treffen dient als Austausch- und Vernetzungsplattform der Netzwerkpartner untereinander. Netzwerkpartner stellen neue und alte Projekte vor oder wir diskutieren über Nachhaltigkeitsthemen wie Nachhaltigkeit und Digitalisierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung oder Fast Fashion.
Stadt 4.0: Was bedeutet denn der Nachhaltigkeitsbegriff für Sie? Welche Aspekte stehen für Sie als Verein im Vordergrund und welche lassen sich vielleicht besonders gut durch Ihre Arbeit abdecken?
Ramsauer: Im Prinzip sind für uns alle Aspekte relevant. Wir verstehen unter Nachhaltigkeit, dass soziale, ökologische und ökonomische Aspekte im Gleichgewicht stehen. Im Handeln und Denken sollten alle drei mitgedacht werden.
Grundsätzlich ist es relevant, dass es uns allen gut geht. Wir sollten mit unseren Ressourcen wie Luft, Boden und Wasser und Arbeitskraft der Menschen verantwortungsvoll umgehen, sodass unsere Kinder und Enkelkinder auch noch ein würdiges Leben führen können. Das gilt sowohl für Deutschland als auch für alle anderen Regionen auf der Welt.
Stadt 4.0: Gut, wenn wir auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit schauen, welche lässt sich durch die Vereinsarbeit am besten beeinflussen, beziehungsweise wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Ramsauer: Gleichermaßen. Bedarf sehe ich überall. Menschen, die in Not sind, sollten zu jederzeit Unterstützung bekommen. Aber auch im Umweltbereich wie beispielsweise im Klimaschutzbereich sehe ich starken Handlungsbedarf. Wir müssen unsere CO2 Bilanz verbessern, sonst fängt unsere Erde an zu kippen. Da haben wir unsere planetarischen Grenzen bereits ausgereizt.
Wir unterstützen dahingehend Projekte und machen diese, wie schon gesagt, sichtbar. Über unsere Netzwerktreffen bringen wir Akteure aus allen gesellschaftlichen Bereichen zusammen. Hier können sich die Akteure austauschen oder gemeinsame Ideen entwickeln.
Wichtig ist es, dass alle gesellschaftlichen Akteure aus Verwaltung, Politik, Wissenschaft, Unternehmen, Vereine, Verbände und Zivilbevölkerung an einem Strang ziehen.
Stadt 4.0: Sie leisten mit ihrem Verein viel Aufklärungsarbeit. Haben Sie Erfahrungen damit gemacht wie sich, bezogen auf den ökologischen Aspekt, Nachhaltigkeitsthemen gut kommunizieren lassen? Wie schafft man dahingehend Überzeugungen?
Ramsauer: Ich denke, wir dürfen nicht auf der abstrakten, strategischen Ebene verharren, sondern müssen die Themen ganz konkret runter brechen und auch Alternativen anbieten. Wir können zum Beispiel nicht so einfach sagen, wir wollen eine autofreie Innenstadt, sondern da müssen wir konkrete Ideen anbieten und zum Beispiel Lastenräder zur Verfügung stellen. In Münster haben wir eine Vielzahl an Akteuren, die sehr engagiert sind und nachhaltiges Handeln konkret machen. Ob es jetzt Foodsharing ist, wo Lebensmittel vor dem Wegwerfen bewahrt und stattdessen verteilt werden, oder ob es die Repair-Cafés sind, die Elektronik reparieren. Das sind ganz konkrete Beispiele und das ist auch kein Komfortverlust, ganz im Gegenteil.
Stadt 4.0: Ok, daran schließt sich auch unsere nächste Frage an: Im Kontext von Suffizienz heißt es oft, wir müssen verzichten, um unseren Konsum zu verringern, sodass wir weniger Ressourcen verbrauchen. Das ist, obwohl es sinnvoll und notwendig ist, zumeist negativ konnotiert. Wie sehen sie das?
Ramsauer: In Münster gibt es bereits genossenschaftliche Wohnprojekte oder sind in der Planung. Die machen das ganz vorbildlich und zeigen auch, dass Nachhaltigkeit gar nicht unbedingt mit Verzicht zu tun hat, indem sie sich verschiedene Geräte einfach teilen. Ob es jetzt ein Hochdruckreiniger ist, den wir einmal im Jahr brauchen, oder eine Gefriertruhe. Da muss sich dann nicht jeder so ein Gerät kaufen und auch nicht den Platz dafür aufbringen, sondern es wird einmal investiert und geteilt. Und dadurch haben wir keinen Verlust, sondern es ist eigentlich ein Vorteil.
Sicherlich ist es so, dass gewisse Produkte zunächst teurer erscheinen wie beispielsweise die fairproduzierte Kleidung im Vergleich zur Fast Fashion. Aber die wahren Kosten der Fast Fashion sehen viele Menschen nicht. Die Fast Fashion stellt ein Problem für das Zusammenleben der Menschen auf der Erde, als auch ein massives Umweltproblem dar. Menschen werden durch hohe Pestizideinsätze krank, Wälder werden abgeholzt, Arten werden vertrieben und Wasser vergiftet – und das alles nur, damit wir uns regelmäßig neue Kleidung kaufen können.
In diesem Zusammenhang möchte ich gerne Vivienne Westwood zitieren: „Buy less, choose well and make it last.“
Stadt 4.0: Wie würden Sie denn die Situation in Münster einordnen? Sehen Sie eine hohe Akzeptanz zur Veränderung des Lebensstils?
Ramsauer: Ich denke, das ist gespalten. Ich finde es sehr vorbildlich, wie viele Menschen sich in Münster engagieren und sich für Nachhaltigkeitsprojekte einsetzen. Das geht bis in die Unternehmen.
Ich denke auch, dass Münster von vielen innovativen Ideen lebt und dass Münster im Vergleich mit anderen Städten doch sehr vorbildlich agiert. Aber es gibt natürlich auch immer andere, die das anders sehen.
Wir können als Vorbild vorangehen und zeigen, dass es geht. Und dass es auch nicht so schwer ist. Letztendlich können wir niemanden Zwingen sich zu ändern. Es muss aus dem Einzelnen herauskommen.
Stadt 4.0: Sie hatten bereits herausgestellt, dass Münster durchaus vorbildlich agiert hinsichtlich Nachhaltigkeit. Können Sie abschließend vielleicht noch einmal runter brechen, welche Potenziale wir in Münster haben und welche Probleme Sie noch sehen?
Ramsauer: Also, wenn ich irgendwo bin, heißt es immer, Münster die Fahrradstadt. Dafür ist Münster bekannt und das sollte so bleiben. Ich denke auch, dass Münster sehr innovativ ist und in vielerlei Hinsicht Vorreiter. Ob es jetzt die kommunale Finanzanlage ist, bei der die Stadt Münster nachhaltige und soziale Mindeststandards einhält oder generell in nachhaltige Geldanlage investiert. Auch am Modellprojekt Global Nachhaltige Kommune hat die Stadt teilgenommen. Die Stadtverwaltung hat diesen Prozess in Kooperation mit Münster nachhaltig, Agenda 21 und Umweltforum angestoßen.
Aber insgesamt gibt es natürlich immer noch Luft nach oben und wir sind lange noch nicht fertig. Wir haben die Welt noch nicht gerettet und da muss noch eine Menge passieren.
Wer sich über die Arbeit und Aktionen des Vereins ein detaillierteres Bild machen möchte, findet aktuelle Informationen unter: http://muenster-nachhaltig.de