Quasare gehören zu den hellsten Objekten im Universum. Deshalb untersuchen Astronomen sie in großen kosmologischen Entfernungen sehr genau. Obwohl sie bereits 1963 durch die Messung von Radiowellen entdeckt wurden, sind nur zehn Prozent dieser Objekte "radiolaut", das heißt, sie leuchten bei Radiofrequenzen besonders hell. Wie lässt sich dieser geringe Anteil erklären? Und gilt er auch für die frühesten kosmischen Epochen? Bis vor kurzem waren nur drei radiolaute Quasare mit einer Rotverschiebung (z) von mehr als sechs bekannt, wobei der am weitesten entfernte bei z = 6,2 lag. Die Rotverschiebung entsteht durch die Ausdehnung des Alls, welche die Strahlung eines Objekts zu größeren Wellenlängen verschiebt. In der Kosmologie ist diese Rotverschiebung ein Maß für die Entfernung und hängt direkt mit dem Alter des Universums zusammen, in dem etwa ein Quasar beobachtet wird. Kurz: Je größer der z-Wert, desto weiter entfernt und desto älter ist ein Objekt.
Nun hat ein internationales Team die bisher fernste bekannte Radioquelle entdeckt. Eduardo Bañados, Astrophysiker am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg, und Chiara Mazzucchelli von der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile und ehemalige Doktorandin am MPIA leiteten die Zusammenarbeit. Die Wissenschaftler fanden den Quasar mit der Bezeichnung P172+18 bei der Rotverschiebung z = 6,82. Dies entspricht einer Ära, in der das Universum gerade einmal 780 Millionen Jahre alt war, also etwa 100 Millionen Jahre früher als der bisherige Rekordhalter. Zur Einordnung: Das Alter des Alls beträgt 13,8 Milliarden Jahre.
„Ich finde es sehr aufregend, einen weiteren Baustein zu liefern, um zu verstehen, wie das ursprüngliche Universum entstanden ist“, sagt Mazzucchelli. Nach den Worten von Bañados sind die Beobachtungen nicht nur dazu da, Entfernungsrekorde zu jagen. „Entfernte radiolaute Quasare am Anfang der Entwicklung des Kosmos dienen auch als Leuchtfeuer, um Material zu untersuchen, das zwischen der Erde und den Quasaren liegt", sagt MPIA-Forscher Jan-Torge Schindel. Da Gas bei unterschiedlichen Rotverschiebungen seinen Fingerabdruck im Spektrum der Quasare hinterlässt, können die Astronomen das Muster nutzen, um die Gasdichte und deren Verteilung im frühen Universum zu bestimmen.
Das supermassereiche schwarze Loch im Zentrum sorgt für die Schwerkraft, die das umgebende Gas anzieht und es ins Innere stürzen lässt. Dabei bildet sich eine sogenannte Akkretionsscheibe, über die das Gas in das schwarze Loch strudelt. Durch die Reibung heizt es sich auf so hohe Temperaturen auf, dass es im UV-Licht besonders hell leuchtet. Dieser Prozess setzt pro Sekunde eine Strahlungsenergie frei, die dem 580-Fachen unserer Milchstraße entspricht.
Auch die Masse des schwarzen Lochs von P172+18 ist im Vergleich zur Schwerkraftfalle im Herzen unserer Heimatgalaxie gewalti und beträgt etwa das 70-fache; zudem wächst es immer noch rasant. Die Messungen deuten darauf hin, dass dieser Quasar eines der am schnellsten akkretierenden supermassereichen schwarzen Löcher beherbergt, die bekannt sind. „Dieses schwarze Loch erfreut sich eines Festmahls und gewinnt sehr schnell an Masse“, sagt Irham Andika, Doktorand am Heidelberger Max-Planck-Institut. Die dabei von der Akkretionsscheibe ausgesandte Strahlung wird so intensiv, dass sie dem kollabierenden Gas entgegenwirkt und den Zufluss allmählich abbremst.
Die von den Forschenden mit dem Karl G. Jansky Very Large Array (VLA) des NRAO gemessene Radiostrahlung deutet auf einen Jet hin, der ionisiertes Gas in einem eng gebündelten Strahl auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Solche Jets dienen auch als Ventil, das einen Teil des Drucks abführt, der durch den Akkretionsprozess erzeugt wird. Ein Vergleich mit 20 Jahre alten Daten legt nahe, dass P172+18 in den vergangenen Jahren an Radioleuchtkraft verloren hat. Ob dieser Befund etwas mit einem schwächer werdenden Jet und einer nachlassenden Akkretionstätigkeit - also nachlassendem Appetit des schwarzen Lochs - zu tun hat, werden wohl erst weitere Messungen abschließend klären.
„Ursprünglich war P172+18 nur einer von vielen Quasarkandidaten, die durch eine Auswertung der Pan-STARRS-Durchmusterung identifiziert wurden“, sagt Eduardo Bañados. „Letztlich brauchten wir aber präzise Beobachtungen mit Infrarot-Teleskopen, um die Entfernung des Quasars und die Eigenschaften des schwarzen Lochs zu bestimmen.“ Für ihre Messungen kombinierten die Forschenden die Daten des Magellan-Bade-Teleskops am Las Campanas Observatorium (Chile), des Nordic Optical Telescope (NOT) auf La Palma (Spanien), des Keck-Teleskops in Hawaiʻi (USA), des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO Chile) und des Large Binocular Telescope (LBT) auf dem Mount Graham (USA).
eim Studium der Radiodaten entdeckten die Wissenschaftler eine weitere Radioquelle in der Nähe von P172+18, deren Rotverschiebung und Entfernung sich jedoch noch nicht bestimmen ließen. Aufgrund der räumlichen Verteilung der Quasare ist die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Zufallstreffers in unmittelbarer Nähe sehr gering. Wenn es sich um eine physikalisch zusammenhängende Doppelquelle handelte, betrüge ihr Abstand - projiziert auf die gedachte Himmelskugel - etwa 400.000 Lichtjahre. Dieser Wert entspricht etwa der doppelten Entfernung zwischen der Milchstraße und der Kleinen Magellanschen Wolke. Das von Bañados geleitete Team versucht nun herauszufinden, ob diese beiden Quellen physikalisch miteinander verbunden sind.
Die Entdeckung einer solchen Galaxiengruppe im jungen Weltall wäre spektakulär, da die Erforschung der Strukturbildung in dieser kosmischen Ära gerade erst beginnt. Nach der Theorie finden sich zunächst Wolken aus neutralem Wasserstoff zusammen, die sich dann zu Galaxien entwickeln und möglicherweise Quasare beherbergen. Die systematische Erforschung solcher Wasserstoffwolken während der ersten Milliarden Jahre des Universums liegt noch in weiter Ferne, ist aber prinzipiell möglich. Dazu können radiolaute Quasare als Hintergrundquellen dienen, mit denen die Forschenden diese Wolken nachweisen. Ebenfalls noch ungelöst ist die Frage, warum verschiedene Quasare eine so große Vielfalt an Radioemission aufweisen. Und rätselhaft ist auch, wie supermassereiche schwarze Löcher wachsen.
Um auf all das Antworten zu finden, benötigen die Astronomen so viele dieser Quasare wie möglich. „Unsere Messungen zeigen, dass die Radioeigenschaften von P172+18 im Vergleich zu anderen radiolauten Quasaren eher durchschnittlich sind“, sagt Bañados. „Deshalb sind wir optimistisch und vermuten, dass es da draußen noch viele weitere radiolaute Quasare zu entdecken gibt, manche von ihnen sogar in größeren kosmologischen Entfernungen. Unsere Suche geht weiter.“
Max Planck Gesellschaft vom 09.03.2021