Ein Leben ohne Handy ist heutzutage nur schwer vorstellbar. Besonders in der jüngeren Generation hat die Mediatisierung voll eingeschlagen: Schule, Studium, Arbeit und Freizeit kommunizieren im digitalen Raum. Wie alles im Leben hat aber auch diese Entwicklung ihre Schattenseiten. Ständige Erreichbarkeit wird zur Normalität. Abschalten ist nicht drin.
Alles begann bei minus 14 Grad auf dem Weg zu einer Freundin. Sie war frisch umgezogen, und so beauftragte ich Google Maps, mir den Weg zu weisen. Keine zwei Straßen vor dem Ziel versagte mein Handy. Ich war aufgeschmissen. Wie hatten unsere Eltern das damals gemacht, so ganz ohne Smartphone? Und wie genau war noch mal ihre Adresse?
Ich hielt einen Radfahrer an und fragte ihn nach „einer Straße, die mit T anfängt“. Er zückte – wie sollte es anders sein – sein Handy und führte mich zum Ziel.
Leider säumten besagte Straße zahlreiche Häuser mit etlichen Klingelschildern. Ich gab auf. Zu Hause lud ich das Handy auf, schrieb mir die Nummer meiner Freundin auf und malte den Weg auf eine Karteikarte. Nun war ich gewappnet, dachte ich - gewappnet für ein Leben ohne Smartphone.
Phase 1: Verlust
In der darauffolgenden Zeit verschlechterte sich der Zustand meines Handys zusehends. Irgendwann hing es an den Geräten und zeigte dennoch keine Vitalzeichen mehr. Die Lebenserwartung von drei Jahren hatte es bereits überschritten, zwei kostspielige Eingriffe hinter sich. Es war an der Zeit.
Und dennoch fiel der Abschied schwer. Der Griff an die Hosentaschen, ein panisches Zucken, wenn der Gedanke aufploppte: Du hast dein Handy irgendwo vergessen! Dieses Verhaltensmuster führte mir vor Augen, wie sehr meine Stimmung von diesem Gerät abhing. Das machte mir Angst. Und so schnell wurde ich diese kleinen Schreckmomente nicht los. Doch mit etwas Ablenkung wie langen Fahrradtouren, Volleyball- und Gesellschaftsspielen vor allem: mit der Zeit trat Phase 2 ein.
Phase 2: Gewöhnung
Gut eine Woche dauerte es, bis die Anspannung sich in ihr Gegenteil verkehrte. Entspannt wie lange nicht ging ich mit dem Hund raus, kein Blick auf die Uhr, kein Blick auf meine Nachrichten. Die Umgebung um mich herum erschien mit einem Mal grüner (was eventuell auch dem Wetterumschwung geschuldet war. Aber auch nur eventuell).
Ich verabredete mich per Mail in der Stadt und konnte mich tatsächlich darauf verlassen, meine Freunde am vereinbarten Ort anzutreffen. Ging doch. Sicherheit gaben mir alle wichtigen Nummern im Gepäck, sodass ich im Notfall fremde Leute ansprechen konnte, mich kurz telefonieren zu lassen.
Phase 3: Ersatz
Doch so schnell ließen sich alte Gewohnheiten nicht abschütteln. Mein Laptop löste sich zunehmend von seinem festen Platz auf dem Schreibtisch und wanderte auf die Bettdecke oder ins Bad, um mich mit YouTube-Videos zu beschallen. Altmodische E-Mails ersetzten WhatsApp. Das ging so weit, dass ich alle zehn Minuten GMX aktualisierte. Mein Blick fiel auf mein totes Handy im Regal und erinnerte mich daran: Das war nicht der Zweck des Experiments. Wollte ich nicht eigentlich meine Chance nutzen und der digitalen Welt den Rücken zukehren?
Also verbannte ich den Laptop rigoros an seinen alten Platz
– und begann, wie früher vor dem Schlafengehen zu lesen.
Phase 4: Gewinn
Nach drei Wochen stellten sich die Effekte ein, die ich mir
von der handyfreien Zeit erhofft hatte. Das Lesen regte meine Fantasie wieder
an. Fast hatte ich vergessen, wie mächtig die eigene Vorstellungskraft sein
konnte und wie wertvoll es war, für einen Moment in andere Welten einzutauchen.
Gleichzeitig machten mich das Lesen und das gelbe Licht der Nachttischlampe früher müde, sodass sich mein Schlafrhythmus nach vorne verschob. Mit den ersten Sonnenstrahlen wachte ich auf und beim Arbeiten war ich fokussierter. Zumindest schloss sich meine Hand nicht mehr wie von selbst alle paar Minuten um mein Handy.
Auch beim Essen, ob allein oder mit anderen, mied ich jeglichen Bildschirm und stellte fest, dass die anfängliche Langeweile, die ich dabei empfand, zur angenehmen Pause wurde.
Das Resümee
Zugegeben, die Phasen lassen sich so strikt nicht trennen, und immer wieder ertappe ich mich dabei, mich mit dem Laptop abzulenken. Aber die Tendenz weist in Richtung: verschärfte Aufmerksamkeit, mehr Kreativität, besserer Schlafrhythmus und gleichzeitig weniger Stress.
Die Abwesenheit meines ständigen Begleiters erfordert aber auch mehr Organisation für alltägliche Dinge. Wenn ich ein Foto von etwas brauche, musste ich andere darum bitten, eins zu machen und mir per Mail zu schicken. Und im Gegensatz zu WhatsApp gibt es bei GMX keine Gruppenfunktion und schon gar keine Sprachnachrichten. Die Fragen häufen sich: Wann holst du dir endlich ein neues Handy?
Ich habe bereits ein gebrauchtes Exemplar ergattert. Dann aber soll aus meinem ständigen Begleiter ein sporadischer werden. Einer, der sich gern mal ein oder zwei Tage Auszeit nimmt und der mich nicht in Unwohlsein versetzt, wenn ich ihn mal zu Hause vergesse.
Foto: Symbolbild, pixabay / Jan Vašek