Franz Maruck/ Es gibt viele Assoziationen, die sich einem aufdrängen: Auf der Bühne erwartet
die Besucher nämlich eine massive Wand aus lauter Pappkartons. Die Kulisse, die
das Theater für seine Inszenierung von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ auf
die Bühne gebracht hat, ist originell und eindrucksvoll. Man versteht schnell,
das Lehrstück soll Grenzen im Denken einreißen und die Zuschauer ermutigen, etwas zu
verändern.
Die berühmte Parabel
feiert just an dem Wochenende seine Premiere, an dem vor 30 Jahren „Die Mauer“
gefallen ist. Weitere Parallelen: In den USA schickt sich Donald Trump an, eine
unüberwindbare Mauer zu Mexiko zu errichten, in zusätzlichen Wassergräben
sollen todbringende Krokodile nach illegalen Einwanderern schnappen, so eine
der Fantasien des durchgeknallten Präsidenten.
Ja, auch in China gibt es eine tausende Kilometer lange Mauer und die unsichtbare Mauer des totalitären Systems íst mindestens
so unüberwindbar wie die Mauer zwischen Ost und West von damals.
Die Szenerie entführt den Zuschauer in die chinesische Provinz Sezuan. Drei Göttinnen (unter anderem Marina M.
Blanke) wollen beweisen, dass noch gute Menschen auf der Erde leben. Sie denken,
die Prostituierte Shen Te (Sandra
Bezler) könnte ihre perfekte Protagonistin für ihre Versuchsanordnung sein, bedingt
durch ihre Aufmerksamkeit für Andere und ihr gutes Herz. Aus diesem Grund schenken
sie Shen Te Geld, mit dem sie sich einen
Tabakladen kaufen und dadurch einem ehrenhaften Gewerbe nachgehen kann. Und
tatsächlich versucht Shen Te Menschen in Not zu helfen. Sie bietet ihnen ihre
Unterkunft an. Bald jedoch wird es ihr unmöglich, weiter ihren Körper zu verkaufen und sich parallel
um ihre Geschäfte
zu kümmern. Deswegen ersinnt sie einen fiktiven Vetter: Shui Ta.
Inzwischen hat sie sich in Yang Sun verliebt, einen arbeitslosen Flieger, der
ein Stellenangebot in Peking bekommen hat, für das er 500 Silberdollar benötigt. Shen Te will ihm helfen,
sie liebt ihn, sie ist blind vor Liebe. Er nutzt sie aus und nimmt ihr Geld,
ohne es zurückzugeben.
Shui Ta entspricht dem alten Ego von Shen Te, die mittlerweile mehr Persönlichkeit
erworben hat. In dem Vetter findet Shen Te alle Eigenschaften, die sie haben möchte und die zwei Figuren
streiten darum, wirklich das Gute zu tun. Und wie so oft ist es das Geld, das
den Charakter verdirbt.
Aber was bedeutet es, gut zu sein? Was bedeutet es, in einer kapitalistischen
Gesellschaft gut zu sein? Mit dem
typischen bitterbösen
Stil realisierte der Schriftsteller seine Kritik am nur
materialistisch ausgerichteten Kapitalismus. Denn durch ihn wird es den Menschen unmöglich gemacht wird, sich selbst
zu verwirklichen und die Welt zu verändern. Bertold Brecht zeigt auf, was einige Jahre
später Adorno in der bitteren Erkenntnis zusammen gefasst hat: „Es gibt kein
richtiges Leben im Falschen.“
Die Inszenierung von Katrin Plötner ist modern, sie weiß die Zuschauer zu
begeistern. Dazu kommt die Wand aus Kartons, die zu einem wirklich spannenden
Spiel eingesetzt werden kann. Immer wieder rappelt es im Karton wie es parallel
in den Köpfen der Zuschauer „rappelt“. Aus den Kartons wird blitzschnell eine
neue Kulisse gebaut. Ein kleines Guckloch reicht, um die Assoziation an einen
Kiosk zu imaginieren. Das ist grandios und faszinierend umgesetzt. Da kommt
keine Langeweile auf.
Das Ensemble ist voller
Spielfreude, so dass man zu keinem Moment den Eindruck bekommt in einem
angestaubten Lehrstück zu sitzen. Es macht Spaß zuzuschauen auch dank
hervorragender Schauspieler. Besonders hervorzuheben ist Carola von Seckendorff
(die Witwe Shin/die Schwägerin/die Teppichhändlerin), die einmal mehr brilliert. Sie war uns bereits
als Veronika Voss in dem Fassbinder-Abend aufgefallen.
Die nächste
Aufführung ist am Freitag, den 15. November um 19:30 Uhr im Kleinen Haus des Theater
Münster.
Foto: Sandra Bezler, Carola von Seckendorff, Christoph Rinke © Oliver Berg
Foto: Sandra Bezler © Oliver Berg
Foto: Sandra Bezler, Frank-Peter Dettmann, Carola von Seckendorff, Paul Maximilian Schulze, Marina M. Blanke © Oliver Berg