Für die Bildung einer Regierung könnte Netanjahu auf die Unterstützung seines früheren Koalitionspartners, der Ultra-Orthodoxen, sowie des Ultra-Rechts-Bündnisses von Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich angewiesen sein. Besonders das Bündnis des Duos, das eine Annexion des gesamten von Israel besetzten Westjordanlands fordert, konnte in Umfragen zuletzt zulegen und könnte bei der Wahl drittstärkste Kraft werden.
Ben Gvir gab seine Stimme am Dienstag in einer jüdischen Siedlung in der Nähe von Hebron im besetzten Westjordanland ab. "Diejenigen, die uns wählen, werden Netanjahu als Ministerpräsident bekommen und eine echte rechtsgerichtete Regierung", warb er um Stimmen.
Der amtierende Regierungschef Jair Lapid, dessen Mitte-Partei Jesch Atid in den Umfragen knapp hinter Netanjahus Likud lag, gab seine Stimme am Dienstagmorgen in Tel Aviv ab. Dabei rief er zu einer regen Wahlbeteiligung auf. "Gehen Sie und wählen Sie heute für die Zukunft unserer Kinder, für die Zukunft unseres Landes. Wählen Sie gut", sagte er.
Für Lapid könnte entscheidend sein, ob seine potenziellen Verbündeten genügend Stimmen erhalten. Lapid hatte im vergangenen Jahr Netanjahus Regierungszeit mit einer Acht-Parteien-Koalition beendet. Das Bündnis, dem erstmals in der Geschichte des Landes auch eine arabisch geführte Partei angehörte, zerbrach allerdings im Juni nach einjähriger Regierungszeit.
Der 66-jährige Wähler Schai Barkan brachte bei seiner Stimmabgabe in Tel Aviv seinen Verdruss über die andauernden Neuwahlen zum Ausdruck. "Ich tue meine Bürgerpflicht und ich hoffe, dass diese Wahl die letzte für die nächsten vier Jahre sein wird", sagte er der Nachrichtenagentur AFP.
Obwohl es die fünfte Parlamentswahl binnen vier Jahren ist, rechnen Experten mit einer relativ hohen Wahlbeteiligung. Für den Einzug in die Knesset müssen Parteien und Wahlbündnisse eine 3,25-Prozent-Hürde überwinden.
Bestimmende Themen im Wahlkampf waren außer der Sicherheitslage die steigenden Lebenshaltungskosten in Israel. Für Netanjahu ist die Wahl angesichts gegen ihn erhobener Korruptionsvorwürfe auch persönlich von Bedeutung. Sollte der 73-Jährige Ministerpräsident werden, könnte er Immunität beantragen.
In den Umfragen zeichnete sich ein äußerst knappes Rennen ab. Demnach kann das Lager um Netanjahu auf 60 Sitze hoffen, der Anti-Netanjahu-Block auf 56 und eine Allianz arabisch geführter Parteien auf vier Sitze. Keines der verschiedenen Lager würde damit jedoch die notwendige absolute Mehrheit im israelischen Parlament erreichen. Entscheidend könnte die Wahlbeteiligung arabischer Israelis sein, die rund 20 Prozent der Bevölkerung in Israel ausmachen.
Nach dem Urnengang könnten sich die Koalitionsgespräche über Wochen hinziehen. Bei einem Scheitern wäre eine erneute Wahl möglich - es wäre dann die sechste innerhalb weniger Jahre.
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