Knapp ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat die FDP-Wehrexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ein kritisches Fazit zum Krisenmanagement von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gezogen. Zwar habe der Kanzler kurz nach Kriegsbeginn mit seiner Zeitenwende-Rede und dem Sondervermögen für die Bundeswehr ein "deutliches Zeichen auch an die internationale Gemeinschaft" gesetzt, sagte Strack-Zimmermann der Nachrichtenagentur AFP. Das habe in der EU und in der Nato "große Sympathien" ausgelöst.
"Leider wurde diese Stimmung im Laufe der Monate wieder relativiert, weil es nach den staatstragenden Worten des Kanzlers zu lange gedauert hat, bis Deutschland anfing, die Ukraine auch mit militärischem Material und Waffen wirklich zu unterstützen", fügte die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses (Wikipedia) hinzu.
Positiv hob Strack-Zimmermann (Eigene Webpräsenz) hervor, dass Scholz "als Regierungschef offensiv Industriestandorte besuchte, um sich persönlich ein Bild zu machen, welche Waffen wir überhaupt an die Ukraine liefern könnten". Prinzipiell hätte sie sich vom Kanzler aber schnellere und couragiertere Entscheidungen gewünscht.
Dazu sagte Strack-Zimmermann: "In einer solchen Krise gehört es dazu, zwar in Abstimmung mit den Verbündeten, aber der geographischen Lage und wirtschaftlichen Potenz entsprechend zu agieren, mutig Führung zu übernehmen und nicht nur dann zu reagieren, wenn der innerdeutsche und internationale Druck zunimmt."
Dazu sagte die Politikerin auch den Zeitungen des RND, durch die monatelange Debatte über Panzerlieferungen sei "kostbare Zeit verloren" worden. "Wenn bestimmte Waffen frühzeitig in der Ukraine gewesen wären, hätte es diese Stellungskämpfe, wie sie jetzt erfolgen, nicht gegeben."
Zum Tag des Kriegsbeginns vor einem Jahr sagte Strack-Zimmermann dem RND weiter, in einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses an diesem Tag sei die Stimmung angespannt gewesen. "Jedem war klar, dass da etwas ganz Entsetzliches und Folgenschweres passiert." Sie sei tief betroffen gewesen, "Angst" habe sie aber "zu keinem Zeitpunkt" gehabt. Sie sei sich sicher gewesen, dass die Nato "ein starker Schutzschirm für uns alle ist".
Ebenfalls kritisch zum Krisenmanagement des Kanzlers äußerte sich auch der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt (persönliche Webseite) (CDU). "Krise braucht Führung, und Führung braucht Kommunikation", sagte Hardt zu AFP. An beidem mangele es bei Scholz. "Durch sein Schweigen und Verklausulieren zu allen wichtigen Krisenentscheidungen verspielt er Vertrauen und Gefolgschaft", kritisierte der CDU-Politiker.
Hardt kritisierte insbesondere die Entscheidungsfindung des Kanzlers in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine. Hier zeige sich "das Bild eines getriebenen Kanzlers, der die Partner erst lange durch mangelnde Bereitschaft für Exportgenehmigungen bevormundete und sie jetzt als angebliche Zauderer dastehen lässt".
Es sei "zu befürchten, dass dies eines Tages auf uns zurückfällt", sagte Hardt. "Deutschland kann sich nicht in wichtigen Fragen stets unangenehm in den Hintergrund drängen und dann plötzlich Gefolgschaft erwarten."
pw/hcy/smb Peter WÜTHERICH / © Agence France-Presse