Die USA haben der Ukraine ATACMS-Raketen mit größerer Reichweite für den Einsatz im Verteidigungskampf gegen Russland geliefert. Die Raketen seien Teil eines Hilfspakets aus Washington aus dem März gewesen und im April in der Ukraine angekommen, erklärte US-Außenamtssprecher Vedant Patel. In Moskau relativierte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag die Bedeutung der Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern für den Kriegsverlauf. Unterdessen wurden bei Kämpfen in der Ostukraine sieben Menschen getötet.
Zu den Lieferungen der ATACMS-Raketen ѡ an die Ukraine erklärte US-Außenamtssprecher Patel am Mittwoch, diese seien "auf direkte Anweisung" von Präsident Joe Biden geliefert worden. Die Lieferung sei zunächst nicht bekannt gegeben worden, um die "operative Sicherheit der Ukraine auf deren Wunsch hin aufrechtzuerhalten". Die Raketen gehörten demnach nicht zu dem am Dienstag vom US-Kongress verabschiedeten Ukraine-Hilfspaket.
Die nun gelieferten ATACMS-Raketen haben laut dem US-Verteidigungsministerium eine höhere Reichweite als früher gelieferte Geschosse vom gleichen Typ. Sie können demnach Ziele in bis zu 300 Kilometern Entfernung treffen. Die USA hatten der Ukraine erstmals im vergangenen Jahr ATACMS-Raketen geliefert - aber nur mit einer Reichweite von 165 Kilometern.
Der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, kündigte an, die USA würden weitere Raketen mit großer Reichweite an die Ukraine liefern. Diese würden "viel bewegen", es gebe jedoch keine "Wunderwaffe" im Krieg zwischen Russland und der Ukraine.
In Russland spielte der Kreml die Bedeutung der ATACMS-Raketen wenige Stunden nach der Bestätigung aus Washington herunter. Die Lieferung werde "den Ausgang der militärischen Spezialoperation nicht grundlegend verändern", sagte Kremlsprecher Peskow. "Aber es wird mehr Probleme für die Ukraine verursachen", fügte er hinzu. Zugleich betonte er, die USA seien "direkt in den Konflikt verwickelt" und dabei, "die Reichweite der Waffensysteme, die sie bereits liefern, zu erhöhen".
In Deutschland befeuerte die Entscheidung der USA unterdessen erneut die Debatte um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Johann Wadephul, sagte am Donnerstag im Interview mit dem Nachrichtensender n-tv in Richtung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): "Wenn man Vertrauen in die Ukraine hat und die USA hat Vertrauen und Herr Scholz behauptet es von sich selber ja auch, dann muss man jetzt Taurus liefern." Scholz hatte am Mittwoch bekräfigt, er werde seine Entscheidung gegen eine Lieferung der Raketen mit längerer Reichweite "nicht ändern".
Aus jüngsten Zahlen zur Unterstützung der Ukraine des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) geht indes hervor, dass die EU-Staaten bislang nicht in der Lage sind, ausbleibende Hilfe der USA zu ersetzen. Europa habe zwar in vergangenen Monaten zu den USA "aufgeholt" und sei nun "bei der Militärhilfe mit den USA auf Augenhöhe", erklärte Christoph Trebesch, Leiter des Ukraine Support Trackers des IfW. Es sei jedoch während der Blockade eines dutzende Milliarden US-Dollar schweren US-Hilfspakets nicht in der Lage gewesen, die "große Lücke" der USA zu schließen. Demnach haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten seit Kriegsbeginn bis Ende Februar 2024 insgesamt 42 Milliarden Euro an militärischer Hilfe an die Ukraine geleistet, die USA hingegen 43,1 Milliarden Euro.
Bei Kämpfen im Süden und Osten der Ukraine wurden am Donnerstag nach offiziellen ukrainischen und russischen Angaben mindestens sieben Menschen durch Artillerie- und Drohnenbeschuss getötet. Russische Besatzungsbehörden zufolge starben in der südukrainischen Region Saporischschja bei einem Drohnenangriff zwei Menschen, in der benachbarten Region Cherson wurden demnach bei Artilleriebeschuss zwei weitere Menschen getötet.
Saporischschja und Cherson sind zwei der vier ukrainischen Regionen, deren Annexion Moskau im September 2022 erklärt hatte - die bis heute aber nicht vollständig unter militärischer Kontrolle Russlands sind.
Im ukrainisch kontrollierten Teil der östlichen Region Donezk wurden Regionalgouverneur Wadim Filaschkin zufolge drei Menschen durch Artilleriefeuer in den Ortschaften Udachne und Kurachiwka getötet.
Nach der Entscheidung der Ukraine, keine Pässe mehr an männliche Auslandsukrainer im wehrfähigen Alter auszugeben, erklärte sich Polen bereit, das Nachbarland bei der Rückholung von Staatsbürgern ins Land zu unterstützen. Der polnische Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz sagte dem Fernsehsender Polsat, Warschau biete Kiew "seit Langem" seine Unterstützung dabei an, bei der Rückkehr von zum Militärdienst verpflichteten Bürgern in die Ukraine zu helfen. Auch Litauen bot der Ukraine eine ähnliche Unterstützung an.
se/cp © Agence France-Presse