AFP-Journalisten vor Ort berichteten am Freitag von Artilleriebeschuss. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte zuvor betont, dass sein Land notfalls auch allein weiterkämpfen werde. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zeigte seinerseits Verständnis für die US-Haltung. In den stockenden Verhandlungen über eine Feuerpause forderte Ägypten "Flexibilität" von beiden Seiten.
Auch die Stadt Gaza im Norden des Palästinensergebiets wurde nach Angaben von Augenzeugen am Freitag erneut angegriffen. Aus Rafah im Süden sind nach Angaben der UNO in den vergangenen vier Tagen rund 110.000 Menschen geflohen. In der Stadt nahe der ägyptischen Grenze halten sich rund 1,4 Millionen Menschen auf - viele von ihnen sind vor den Kämpfen im Norden des Gazastreifens geflüchtet. Trotz internationaler Kritik plant Israel eine großangelegte Militäraktion in der Stadt.
Am Montag hatte Israel die Bewohner im Osten Rafahs zur Evakuierung aufgerufen. "Etwa 30.000 Menschen fliehen jeden Tag aus der Stadt", erklärte der Leiter des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha) im Gazastreifen, Georgios Petropoulos. Viele von ihnen hätten seit Kriegsbeginn bereits fünf oder sechsmal umziehen müssen.
Netanjahu droht seit Monaten mit einer Bodenoffensive in Rafah. Israel sieht Rafah als die letzte Bastion der Hamas-Kämpfer. Ungeachtet massiver internationaler Kritik an dem geplanten Einsatz - unter anderem vom Verbündeten USA - hat die israelische Armee am Freitag nach eigenen Angaben ihre "präzise Antiterroroperation" in einigen Teilen im Osten von Rafah fortgesetzt und dabei "Terrorzellen eliminiert".
US-Präsident Joe Biden hatte am Mittwoch Israel im Falle einer Großoffensive mit einem Stopp von Waffenlieferungen gedroht. Sollte Israel wie geplant nach Rafah vordringen, "liefere ich nicht die Waffen", die im Vorgehen gegen andere Städte eingesetzt worden seien, sagte Biden dem Fernsehsender CNN. Als Beispiel nannte der US-Präsident Artilleriegranaten.
Netanjahu erklärte daraufhin, dass sein Land notfalls "allein" gegen die Hamas kämpfen werde. "Wenn wir allein bestehen müssen, dann werden wir allein bestehen", hieß es in einer am Donnerstagabend von seinem Büro verbreiteten Erklärung. "Wir werden mit unseren Fingernägeln kämpfen", betonte Israels Regierungschef.
Pistorius äußerte Verständnis für die Drohung Bidens, die Waffenlieferungen im Falle einer Rafah-Offensive zu stoppen. "Ja, das kann ich verstehen", sagte der SPD-Politiker im ZDF. Auf die Frage, ob es ähnliche Schritte aus Deutschland geben werde, sagte er: "Ich kann das noch nicht beantworten." Er habe sich darüber bei seinem Besuch in Washington "auch schon hinter verschlossenen Türen ausgetauscht".
In der ägyptischen Hauptstadt Kairo laufen seit mehreren Wochen Verhandlungen für eine Feuerpause und die Freilassung von israelischen Geiseln aus der Gewalt der Hamas. Am Donnerstag hatte der Sender Al-Kahera News berichtet, dass die Delegationen der Hamas und Israels nach zweitägigen Gesprächen Kairo wieder verlassen hätten. Die Bemühungen der internationalen Vermittler sollten dessen ungeachtet weitergehen.
Die Hamas erklärte am Freitag, Israel habe einen von den Vermittlern vorgelegten Vorschlag, dem die Hamas akzeptiert habe, abgelehnt. Daher liege "der Ball nun vollständig" bei Israel.
Das Vermittlerland Ägypten forderte indes die Hamas und Israel auf, "Flexibilität zu zeigen". Beide Seiten müssten "alle notwendigen Anstrengungen" unternehmen, um eine Vereinbarung zu erreichen und damit die "humanitäre Tragödie" im Gazastreifen zu beenden", erklärte der ägyptische Außenminister Samih Schukri.
Der Krieg im Gazastreifen war durch den Großangriff der Hamas und weiterer militanter Palästinensergruppen auf Israel vom 7. Oktober ausgelöst worden. Dabei wurden nach israelischen Angaben etwa 1170 Menschen getötet und rund 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Israel geht seit dem Hamas-Angriff massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden bisher nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, mehr als 34.900 Menschen getötet.
kbh/jes © Agence France-Presse